Das Vermaechtnis des Caravaggio
noch
Weingärten hinzogen und Bauern ihre Felder innerhalb der Stadt bestellten.
Beinahe eine Stunde Fußmarsch hatte er zurückgelegt, um diesen Andrea Fusco zu
finden, der in einer baufälligen Hütte hauste und sich von einem Bauern
ernähren ließ.
Mehr als einmal hatte Enrico sich
gefragt, warum er hier war, was er hier eigentlich tat, denn Andrea Fusco
schüttete den Wein in sich hinein, als gelte es, die nächste Sintflut
wegzutrinken, und seine Zunge löste sich trotzdem nur schwer.
„Was wissen wir Mantuaner nicht?
Was, Andrea Fusco?“
Diesmal füllte Enrico den Becher nur
halbvoll. Wenn es ihm nicht gelang, dass dieser Andrea Fusco langsam trank,
waren Fußmarsch und Suche umsonst gewesen.
„Mit Michele habe ich bei Del Monte
angefangen. Eine schöne Zeit“, stammelte der Maler. „Aber der Fluch hat alles
verdorben!“
Mit einem Ruck hob er den Becher, den
Enrico eben gefüllt hatte, und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Die
Flüssigkeit rann ihm farblos das Kinn hinab und übers Hemd.
„Wir haben viel gelernt, bei Del
Monte. Er bestand auf Studien nach der Natur, auf die Berechnung der
Perspektive. Immer wieder lud er Mathematiker ein, um mit ihnen über die
Darstellung von Architektur in der Malerei zu disputieren. Wir Maler saßen mit
ihnen am selben Tisch. Vor allem Michele lernte begierig, begriff schnell, bis
Del Monte ihn in die Camera obscura geschickt hat.“
Mit einer raschen Handbewegung
wischte Andrea Fusco über die Tischplatte und hätte den Weinkrug umgeworfen,
wenn Enrico nicht geistesgegenwärtig zugegriffen hätte. Im Gesicht Fuscos
erkannte er so etwas wie Abscheu und Ekel, konnte sich aber keinen Reim darauf
machen.
„Ihr kennt eine Camera obscura?“, fragte
Fusco nach, ohne sich wirklich darum zu kümmern, ob Enrico nickte. „Bei Del
Monte konnte man sie begehen, in sie hineinschlüpfen und darin malen. Da haben
sie Michele einmal einfach drin vergessen. Und Del Monte und seine Schützlinge
haben sich vor der Kamera vergnügt.“
Ein heftiges Aufstoßen unterbrach
die Erzählung. Stumm blieb Enrico sitzen und wartete darauf, dass dieser Andrea
Fusco fortfuhr, wollte auch nicht unterbrechen, da er befürchtete, sich den
Unmut des Malers zuzuziehen. Als aber Fusco seinen Kopf in beide Hände stützte
und verstummte, schien es ihm angebracht, ihn wenigstens daran zu erinnern,
wessen Wein er trank.
„Habt Ihr mir nicht versprochen,
etwas über den Fluch zu erzählen, Messer Fusco?“
Die Sonnenstrahlen schnitten aus
dem Gesicht helle Streifen heraus, als er Enrico anblickte.
„Habt Ihr das Bild für den Marchese
Giustiniani gesehen? Den siegreichen Amor? Das Bild interessiert den Marchese
ebenso wie den Kardinal. Del Monte liebt junge Knaben, und er nimmt sie sich
ins Bett. Damals wie heute.“
Mit herrischer Geste hielt Fusco
ihm seinen Becher hin und forderte Wein. Jetzt berührte er einen Punkt, der
Enrico interessierte. Aufmerksam hörte er zu. Männerliebe unter dem Klerus in
Rom spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Unter dem lichten Schleier der
Verschwiegenheit wurde sie praktiziert und akzeptiert, während man sie nach
außen hin verdammte.
„Wenn sie sich mit Frauen begnügt
hätten, wäre Michele in der Camera obscura geblieben und hätte sein Vergnügen
daran gehabt. Aber eines Mannes Fleisch ist eines anderen Mannes Gift, Signor
Enrico. Del Monte spielte vor Micheles Augen mit halbwüchsigen Knaben. Das
konnte er nicht ertragen, versteht Ihr. Schon gar nicht, da es ein Knabe war,
auf den Michele selbst ein Auge geworfen hatte. Schließlich war er auf den
Kardinal und seine Protektion angewiesen. Er gab ihm seine ersten öffentlichen
Aufträge. Die ersten Aufträge der Kirche. Und dann musste er mit ansehen, wie
vor seinen Augen ...“
Wieder stieß Andrea Fusco auf. Mit
einer Hand hielt er sich den Mund, der plötzlich überlief, und spuckte einen
Mund voll Wein hinter sich.
„Jetzt erst begriff er so richtig,
was sie von ihm verlangten. Warum die Figuren, die er malen musste, der Amor,
der Bacchus, Johannes der Täufer, nackt sein mussten, entblößt. Jetzt wusste
er, warum Kardinal Del Monte, der Mann der Kirche, bei den Sitzungen den
Modellen gegenübergesessen, warum der Marchese Giustiniani darauf bestanden
hatte, das Modell des siegreichen Amor selbst auszusuchen. Ihr kennt sein
Temperament? Wie eine Furie brach er in die Vergnügung des Kardinals ein und
bespuckte und verdammte Ihre Eminenz. Im Grunde weiß ich nicht einmal, ob
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