Das Vermaechtnis des Caravaggio
hinauszulaufen, drehte sich aber um, als sie ihm nicht
sofort folgte. Nerina rappelte sich auf. Nero schlug die Richtung zum Hafen
ein, zum Stadttor. Während Nerina ihm langsam nachging, musterte sie ihre
Umgebung. Wurde sie beobachtet? Folgte ihr jemand? Sie konnte niemanden entdecken,
und so wurde jeder Schritt, den sie sich vom Großmeisterpalast entfernte,
sorgloser und weniger vorsichtig. Trotzdem zog sie das Tuch nicht fort, das wie
ein Schleier um ihr Gesicht lag.
An einer der Herbergen mit ihren
flachen Dächern, von denen vor allem in den späten Nachmittagsstunden, wenn die
Sonne ihre Kraft verloren hatte und vom Meer her kühler Seewind hochblies, das
Gelächter und die Stimmen der Ritter zu hören waren, blieb Nero stehen. Junge
Stimmen, junge Menschen. Bewacht wurde die Herberge, bei der es sich um die
italienische handelte, wie unschwer am Wappen über dem Torbogen zu erkennen
war, von zwei Ordensrittern, die sich in den Türschatten zurückgezogen hatten.
Mit einem leisen Pfiff holte sie Nero zu sich.
„Dort versteckt er sich also. Guter
Hund. Warum lässt er dich dann allein durch die Straßen laufen? Streunende
Hunde werden eingefangen. Hat er dich weggeschickt, oder bist du ...“
Sie wollte den Gedanken nicht
beenden, denn plötzlich schien er ihr so klar und einleuchtend, dass sie sich
abrupt umwandte und die Straße hinauf sah. Tatsächlich konnte sie auf Höhe der
folgenden Querstraße einen Johanniter erkennen, der sich bequem, mit
verschränkten Armen gegen eine Hauswand lehnte und unverwandt zu ihr hersah.
Fra Domenico! Unerträgliche Hitze füllte das dichte Gewebe unter ihrem
Schleier. Warum hatte sie diese Möglichkeit nicht sofort erwogen? Sie war naiv gewesen,
naiv und dumm. Während sie weiter nachdachte, fiel sie in einen weiteren
Schrecken. Jetzt kannte Nero ihre Witterung. Ein Wort, und er würde sie in ganz
La Valletta aufspüren, wo immer sie sich auch verbergen mochte.
Sie verwünschte ihre
Unvorsichtigkeit. Was sie allerdings nicht verstand, war, warum der Johanniter
den Hund hinter ihr herschickte, um Michele ausfindig zu machen? Michele wurde
bewundert, wurde verehrt, jedenfalls von den Gebildeten. Die Ritter wussten
sicherlich, wo er sich aufhielt. Wenn der Johanniter aber nicht selbst ...
Natürlich, Michele war unberührbar. Alof de Wignacourt hielt seine schützende
Hand über ihn. Möglich war einzig, dass der Johanniter dem Großmeister von der
Flucht und dem angeblichen Mord Micheles erzählt hatte. Aber er hatte nicht die
gewünschte Wirkung erzielt. Jetzt wollte er sich schadlos halten, schadlos an
ihr!
Kurz schloss sie die Augen und sah
den Fischmarkt in Rom vor sich, sah die Fackeln, die ihn ausleuchteten, sah
auch den Johanniter, wie er zwei Frauen im Arm in Richtung Tiberufer hinabging
und im letzten Augenblick zu ihr herüberblickte. Erst als sie die Augen wieder
öffnete, wurde ihr bewusst, dass sie ihr Amulett in der Hand hielt.
Einem plötzlichen Entschluss
folgend rannte sie die Stadtmauer entlang und bog in die nächste Querstraße
ein, Nero neben sich. Dort hielt sie Ausschau nach einem offenen Tor und
schlüpfte durch eines der ersten. Rasch entledigte sie sich ihrer
Frauenkleider, stopfte sie zu einem Knäuel zusammen und befahl Nero, der sie
mit schief gelegtem Kopf verwundert ansah, auf die Kleider zu achten. Dann
schlüpfte sie wieder auf die Straße und mimte ein leichtes Hinken. Keinen Augenblick
zu früh, denn aus dem Augenwinkel erkannte sie hinter sich den Johanniter, der
um die Ecke bog. Ob er ihr folgte, konnte sie nicht beobachten, aber da sie
keinerlei Schritte vernahm, vermutete sie, dass er weitergelaufen war. Schweiß
stand ihr auf der Stirn.
Ohne auf Nero zu achten, nahm sie
denselben Weg zurück. Wie konnte sie zu Michele kommen, ihn sehen, sprechen? Es
war für sie zu gefährlich, in der Herberge unterzukommen, in der Michele wohnte,
denn dort würde Fra Domenico zuerst suchen. Sie musste sich weiter bei
Evangelos Anomeritis verbergen, dem Fischer außerhalb der Mauern, der sie
bereits aufgenommen hatte und bei dem sie auch ‘Das Haupt des Johannes’
verbarg.
Bevor sie in die Straße der
italienischen Herberge einbog, die nahe der Katharinenkirche erbaut worden war,
musterte sie diese. Nur die beiden Wächter langweilten sich, niemand, der das
Ordenshabit trug, lungerte sonst herum.
Sie ging auf die Wache zu,
Herzklopfen und Zittern in den Knien.
„Wohnt hier der berühmte Maler
Caravaggio?“
„Wer will das wissen?“,
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