Das Vermaechtnis des Caravaggio
ausgestorben. Um die Hitze auszusperren, waren die
grünen Holzläden vor den Fenstern geschlossen worden. Die Wachen hatten sich in
die Torwege zurückgezogen. Im Schatten der gegenüberliegenden Gebäude lagen und
saßen Männer und Frauen, um Mittagsruhe zu halten, manche auf dem blanken
Stein, andere auf kleinen Teppichen. Ruhe lag über allem, als hätte die Sonne
die Welt eingeschläfert.
Nerina erinnerte sich an die erste
Nacht, nachdem Michele sie von ihren Zieheltern und dem fahrenden Volk
weggeholt hatte. Sie lag damals zusammen mit ihm in einem Zimmer, aber hinter
einem mit Decken abgetrennten Teil, und lauschte auf die Geräusche außerhalb
ihrer kleinen Welt. Michele legte sich eben zum Schlafen. Mit großen Augen
hatte sie in die Dunkelheit gestarrt und an Marietta gedacht, die sie gewarnt
hatte.
Er werde es versuchen, und sie
müsse sich überlegen, was sie wolle.
Sie hatte es nicht gewusst. Sie
hatte es sich auch nicht vorstellen können, was er von ihr wollte, bis er die
Decke zurückgeschlagen hatte und an ihr Bett getreten war. Sehen hatte sie ihn
nicht können, aber riechen. Sie war dagelegen, starr und voller Furcht vor dem,
was geschehen würde, aber Michele hatte sich nur neben ihr Bett gesetzt und ihr
über die Haare gestrichen, langsam und bedächtig.
Sie sei so schön wie seine
Schwester und ebenso unschuldig, habe er erzählt, ein kleiner Engel, wie er sie
gerne malen wollte, wenn es ihm nur gelänge, den himmlischen Ton zu hören, der
diese Wesen umgebe. Das fiele ihm aber schwer, er würde immer angezogen von den
irdischen Dingen, vom Schmutz und Staub der Straßen, von den Kloaken der Städte
und der Seelen. Deshalb habe er sie zu sich genommen, um in seiner Wirrnis
zumindest ein wenig Reinheit zu finden. Er werde sie lehren. Und während er
dies sagte, hatte er begonnen seine Hand über ihren Körper wandern zu lassen,
über ihre Brüste, ihren Bauch hinunter zu ihrem Schoß und weiter über die
Schenkel. Sie hatte sich nicht gerührt, ganz Statue aus Holz oder Stein. Damals
war ihr klar geworden, was es hieß, sich entscheiden zu müssen. Aber bevor sie
noch zu Ende gedacht hatte, war er aufgestanden, mit einem Ruck, als hätte er
sich dazu zwingen müssen oder wollen, und hatte sie allein gelassen. Sie wusste
damals nicht, wie sie einordnen sollte, was sie empfunden hatte: Hass oder
Mitleid, Furcht oder Lust. Seitdem hatte er sie gemieden. Nie wieder war er
nachts neben ihr aufgetaucht, obwohl sie manchmal, wenn sie am Morgen
aufwachte, das Gefühl hatte, als wäre Michele die Nacht über neben ihr gesessen
und hätte sie lange betrachtet. Aber das konnten ebenso gut Traumreste gewesen
sein.
Ein Schnüffeln und Stoßen ließ sie
aus ihrem Tagtraum aufschrecken. Ein Hund drängte sich zwischen ihre Beine,
schnüffelte, ein schwarzes Tier, dessen Fell in der Sonne bläulich glänzte.
Ärgerlich und angeekelt scheuchte sie ihn beiseite.
„Weg! Hau ab, Köter!“
Nerina fauchte, aber das
pechschwarze Tier drehte sich zweimal um seine Achse und legte sich neben sie
auf den Boden. Ihre Aufforderung schien es völlig zu ignorieren. Den Kopf auf
den Beinen schaute der Hund sie mit hochgezogenen Augenbrauen von unten an, und
plötzlich durchfuhr es Nerina freudig.
„Nero! Bist du das, Nero?“
Bei der Nennung seines Namens fuhr
der Hund auf und ließ ein kurzes Bellen hören, drehte sich abermals um seine
eigene Achse und legte er sich wieder nieder, diesmal den Kopf auf eines ihrer
Beine gebettet.
Sie beugte sich zu ihm hinunter,
streichelte ihm über den Kopf, kraulte sein Fell am Hals.
„Nero, mein Junge. Michele hat dich
mit hierher genommen. Weißt du, wo ich Michele finde? Sicherlich weißt du es!“
Sie redete mehr zu sich selbst, als
zu Nero, denn zugleich mit dem Gedanken, dass Michele den Hund mit nach Malta
genommen hatte, schoss ihr in den Kopf, dass es der Hund des Johanniters war.
Vorsichtig musterte sie ihre Umgebung. Ihr Herz schlug. Wenn der Johanniter sie
entdeckte, lief sie Gefahr, als Spionin verhaftet zu werden. Um Michele zu
treffen, würde er vor nichts zurückschrecken. Aber Nero schien tatsächlich
allein zu sein.
„Wo kommst du her? Lässt er dich
durch die Stadt streunen? Fast glaube ich es!“
Sie versuchte ruhig zu sprechen, um
den Hund nicht zu verscheuchen.
„Nero. Hoch, komm hoch. Wo ist
Michele. Such Michele!“
Mit beiden Händen nahm sie Neros
Kopf und sah ihm in die Augen. Er schien sie verstanden zu haben, denn er
begann auf den Platz
Weitere Kostenlose Bücher