Das Vermaechtnis des Caravaggio
Ereignis erfahren,
das Caravaggios Leben stark beeinflusst haben muss. Hier in Mailand, zu der
Zeit, als er bei Euch in die Lehre ging. Wisst Ihr Näheres davon? Ein Unfall?
Ein Schicksalsschlag? Erzähltet Ihr mir nicht vor zwei Jahren, dass es etwas
gegeben hätte, über das man hier in Mailand nicht spricht. Warum habt Ihr es
mir nicht anvertraut?“
Unruhig scharrte Peterzano mit den
Füßen über den Boden. Sein linkes, bereits sichtbar trübes Auge fixierte ihn
zuerst, schien aber dann zu wandern, an ihm vorbei und schließlich in sich
selbst hinein zu sehen. Plötzlich stockte der Redefluss.
„Da gibt es etwas, Söhnchen. Ganz
recht. Seine Lehrzeit endete damit. Sein Gesellenstück sozusagen. Aber warum
sollte ich es Euch erzählen, Söhnchen, Enrico? Warum? Lang ist es her, zu
lange. Alte Geschichten solle man ruhen lassen. Die Erfahrung des Greises.“
Enrico spitzte die Lippen. Er hätte
vor zwei Jahren energischer sein, bohrender nachfragen müssen. Sicherlich hätte
Meister Peterzano ihm schon damals die ganze Geschichte erzählt.
„Caravaggio wird verfolgt. Man
versucht ihn zu töten!“
Wieder wanderte das trübe Auge an
Enrico auf und ab, suchte ihn und löste sich, um erneut zu ihm zurückzukehren.
Im Raum schwebte eine feine Staubwolke, die sich langsam über alles legte und
dessen Partikel allein vom Atem der beiden Männer getrieben wurden. Langsam wie
der Staub senkte sich die Geschichte auf Enrico herab.
„Ich war damals in Venedig. Kenne
die Ereignisse also nur vom Hörensagen. Micheles Schwester Caterina ist damals ein
Adliger nachgestiegen, ein junger Bursche, dessen Eltern wie Merisis Vater,
Fermo, in Diensten des Marchese di Caravaggio, Francesco Sforza, standen. Der
Tod des Francesco Sforza lockerte die Sitten. Die Söhne des Adels griffen den
bürgerlichen Mädchen unter die Röcke, ein junger Fant, ich weiß den Namen nicht
mehr, umgarnte Caterina Merisi. Man sprach von Verlobung, von Heirat, obwohl
die Verbindung nicht standesgemäß gewesen wäre. Sie wäre wohl eine Mätresse
geblieben. Das gefiel Enrico offensichtlich nicht. Weil Vater Merisi bereits
1577 am Schwarzen Tod gestorben war, lag die Verantwortung für Caterina in den
Händen Michelangelos. Damals war er noch ein Knabe, gerade sechzehn Jahr alt.“
„Was wisst Ihr über die Familie,
aus der dieser junge Spross entsprungen war?“
„Lieber Enrico, könnte ich mir alle
Geschehnisse und Namen merken, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind,
bräuchte ich einen zweiten Kopf. Nein. Mein Gedächtnis ist gealtert wie meine
Knochen. Verzeiht.“
Langsam kam der Maler außer Atem.
Seine Kurzatmigkeit verschaffte Enrico immer häufiger die Gelegenheit,
Zwischenfragen zu stellen. Aber die Luft reizte ihn derart, dass er beständig
niesen musste. Lange würde er es in diesem Staubloch nicht mehr aushalten.
„Was geschah, Meister Peterzano?“
Statt einer Antwort erhob sich
Meister Peterzano vorsichtig und langsam, als müsse er verhindern, dass durch
seine Bewegungen Staub aufgewirbelt wurde. Er bedeutete Enrico, ihm zu folgen.
Ihm voran schlurfte er in einen Winkel seiner Bottega, in der eine ganze
Sammlung alter Leinwände lagerte.
„Skizzen und Unverkäufliches“,
kommentierte er das Gerümpel. „Hier drüber wohnte der Kerl.“ Mit dem Daumen
deutete er die Treppe hinauf. Auf dieser Seite des Raumes lief in Höhe des
ersten Stockes eine Galerie entlang. Fünf Türen durchbrachen die Mauer. „Kleine
Kammern für die Gesellen. Je zwei schliefen in einem Raum.“ Dann begann er in
den Leinwänden zu wühlen, stellte Bilder beiseite und grub sich immer tiefer in
den Wust an dunklen, oft unkenntlichen oder halb übermalten Entwürfen. „Hier muss
es irgendwo sein.“
„Was sucht Ihr, Meister Peterzano?“
„Geduld, mein junger Freund. Eine
Tugend der Greise. Nichts im Leben rechtfertigt übertriebene Eile. Ja, hier ist
es.“
Aus einem Stapel gleicher
Leinwandgestelle zog der Maler eine Leinwand heraus, die sichtbar ein Loch
enthielt. Als er sie umdrehte, erkannte Enrico die Bildnisse zweier junger
Männer, Knaben eher, die an einem Tisch saßen. Jung erschienen sie ihm,
jugendlich, wenn er Kleidung und Hände betrachtete. Ob er sich täuschte, konnte
er nicht sagen, da das Gesicht des einen Adligen, denn um solche handelte es sich
offensichtlich, sauber mit dem Messer ausgeschnitten worden war.
„Michele Merisis erster
eigenständiger Auftrag. Er sollte den jungen Fant porträtieren, von dem ich
Euch
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