Das Vermaechtnis des Caravaggio
vorher erzählt habe. Antonio Di Russo! Jetzt fällt es mir wieder ein, so
hieß er, und sein Bruder daneben Domenico.“
„Es scheint ihm nicht gelungen zu
sein.“
„Weil der Kopf fehlt? Täuscht Euch
nicht. Sehr gelungen für sein Alter, sehr ausdrucksstark. Sein jüngerer Bruder musste
sich dazustellen. Hier, der, dessen Züge man sieht. Allerdings konnte es nie
ausgeliefert werden. Sein Temperament ließ es ihn verstümmeln.“
„Caravaggio hat das selbst getan?
Warum?“
Meister Peterzano klemmte sich das
Gemälde unter die Achsel und schlurfte zurück zu seinem Platz. Sein Atem ging schwer
und keuchend. Enrico wunderte sich, dass der Maler noch immer diese Bottega bewohnte,
obwohl er sich sicherlich in ein Spital hätte einkaufen können, in dem ihm die
beste Pflege zuteilgeworden wäre. Vorsichtig schob er ihm den Stuhl hin,
während der Alte das Bild so an eine Säule neben sich lehnte, dass sie beide
einen Blick darauf werfen konnten.
„Als ich aus Venedig zurückkam, saß
Michelangelo bereits im Kerker. Man hatte ihn des Mordes angeklagt und für
schuldig befunden, allerdings gestand man ihm als männlichem Oberhaupt der
Familie Merisi eine Art Notwehr zu. Ich kenne keine diesbezügliche Absprache, aber
man erzählt sich davon. Bei einem Duell, das ausgetragen wurde, weil sich
Michele wohl einer Verbindung der beiden Familien widersetzt hatte, verletzte
er den jungen Antonio schwer. Kurze Zeit danach starb er. Michele leugnete das
Verbrechen nicht. Ein ganzes Jahr musste er büßen. Seiner Mutter hat er damit
das Herz gebrochen. Ganz erholt hat sie sich von der Schmach nicht mehr.
Später, wieder in Freiheit, teilten die Geschwister das Erbe auf, und
Caravaggio ging nach Rom. Das Gemälde, das Ihr hier seht, zeigte den Getöteten.
Mehr weiß ich nicht, mehr kann ich Euch nicht sagen, Enrico.“
Neugierig kniete Enrico vor dem
Bild nieder. Antonio Di Russo war ausgelöscht, entfernt. Nichts erinnerte mehr
an ihn. Der Körper, der zurückgeblieben war, konnte mit einem jeden anderen
Gesicht ergänzt werden. Nur ein Amulett, das dem Getöteten um den Hals hing,
machte ihn Einzigartig, eine unscheinbare silberne Kapsel. Deshalb hielt er
sich an den jüngeren der Brüder. Ein Milchgesicht, charakterlos noch, ohne die
Zeichen der Erfahrungen, die das Leben bereithielt, auch für die
Privilegierten, die Begüterten. Knet- und formbar dieses Gesicht. Was er
suchte, wusste Enrico nicht, aber als sein Blick auf die rechte Hand des
Gesichtslosen fiel, wusste er, dass er erst einmal gefunden hatte, wonach er in
Mailand Ausschau gehalten hatte. Der junge Adlige, Antonio Di Russo, dessen
kopfloser Körper so merkwürdig wirkte, trug am Daumen der rechten Hand einen
Ring. Blank noch die Siegelfläche, aber ein Ring mit unverwechselbarem
Charakter, der vom Vater an den Ältesten und von diesem nach seinem Tod an den
nächsten Sohn weitergereicht wurde. Der Bruder also rächte als Erbe das Blut
des Bruders.
7.
Sie hing ihren Tagträumen nach,
während sie den Platz vor dem Großmeisterpalast beobachtete. Jeder, der in La
Valletta wohnte, kam zumindest einmal täglich über diesen Platz. So, hatte
Nerina sich ausgerechnet, musste sie irgendwann Michele begegnen.
Um nicht aufzufallen, versteckte
sie sich unter der landesüblichen Frauentracht, einem schwarzen Umhang mit
Schleier über dem Gesicht. Darunter trug sie Männerkleidung, um sich, falls
erforderlich, sofort verwandeln zu können. Sie saß im Schatten auf einem
kleinen Schemel neben einem Hauseingang, eine Stickerei in der Hand, und ließ
ihren Blick über den Platz schweifen. Die flirrende Hitze, die durch den hellen
Gebäudestein verstärkt wurde, ließ sie immer wieder in einen Zustand angenehm
dämmriger Träumerei hinübergleiten, auch wenn sie während dieser Zeit die
Umgebung nur schattenhaft wahrnahm.
Sie saß in La Valletta, hatte
beinahe ein Dreivierteljahr gebraucht, um Michele nach Malta zu folgen, und wusste
nicht recht, warum sie es tat. Nach allem, was sie hörte, wenn sie sich nach
Michele erkundigte, lebte er in Saus und Braus, unterstützt vom Großmeister,
einquartiert in seinem Palast, mit Aufträgen überhäuft. Er brauchte sie nicht,
kam selbst zurecht, hatte sein Leben im Griff. Sie freute sich, konnte aber
nicht verhindern, dass sie gleichzeitig etwas wie Wehmut empfand. Sie hatte ihm
helfen wollen und kam offensichtlich ungelegen. Er brauchte ihre Hilfe nicht
mehr.
Jetzt, um die Mittagszeit, lag der
Platz vor dem Palast wie
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