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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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erfüllte sich aber nicht.
Sie wollte den Johanniter sehen, Fra Domenico, der immer wieder die Kathedrale
betrat, leise, als würde es ihn nicht geben, und wie sie dem Fortgang der
Malerei beiwohnte.
    Während Michele sonst einen eigenen
Rhythmus seiner Gesten entwickelt hatte, in dem er das Werk bearbeitete und der
auf sie wirkte, als würde er tanzen, ganz in Trance und doch hellsichtig, mit
scharfer Unterscheidungsgabe, fuhr er jedes Mal zusammen, wie von Geisterhand
an der Schulter berührt, wenn der Johanniter im Oratorium erschien, als spüre
er dessen unheilvolle Schwingungen. Nie drehte Michele sich um, aber immer
hörte er auf zu malen, solange der Johanniter im Dunkeln stand und wartete.
Erst wenn Fra Domenico die Schwelle zur Kathedrale wieder überschritten hatte,
tauchte Michele den Pinsel erneut in die Farben der Palette und fuhr fort.
    Während dieser Ereignisse verkroch
sich Nerina in ihrer Bank, senkte den Kopf, soweit es ihr möglich war, auf das
Gestühl hinab, und hoffte so, für einen der vielen Ritter gehalten zu werden,
die hier ihrer täglichen Andacht nachkamen. Gern hätte sie Fra Domenico allein
gesprochen, gern hätte sie ihn in ein Gespräch verwickelt, aber sie trafen nur
zusammen, wenn Michele mit im Raum weilte. Ihn unter Micheles Augen
anzusprechen, wagte sie nicht.
    Jetzt aber kniete Fra Domenico vor
ihr, die Stirn auf die Hände gelegt, versunken in tiefe Andacht, und murmelte
wie abwesend die Litanei seiner Gebete. Ein einziger Pater saß noch in einer
hinteren Ecke des Raumes, die Augen im Gebetbuch. Michele war weit weg. Nur ein
Wispern erfüllte den Raum. Nerina stellte sich neben den Ritter und wartete,
ließ ihn aber nicht aus den Augen.
    „Fra Domenico, gewährt mir einen
Moment Eure ungeteilte Aufmerksamkeit, ohne den Gedanken an Rache!“
    Der Johanniter hob nicht einmal den
Kopf, als hätte er ihre Ansprache erwartet. Er unterbrach sein Gebet sofort und
flüsterte.
    „Weshalb spürt Ihr mir nach?“
    „Ihr wusstet ...?“
    „Glaubt Ihr, einem Cavaliere di
Giustizia entgeht, wenn er beobachtet wird? Ich würde längst nicht mehr leben,
wenn meine Augen nicht überall und meine Sinne nicht zu jeder Tages- und
Nachtzeit geschärft wären. Bringt Euer Anliegen vor. Die Kathedrale gilt als
Raum des Friedens. Hier wird Euch kein Leid zugefügt. Auch von mir nicht.“
    Nerina konnte beobachten, wie Fra
Domenico einen Dolch, den er in der Hand gehalten hatte in den Gürtel
zurücksteckte. Er bekreuzigte sich und sah zu Micheles Gemälde hinüber, das
mittlerweile seinen Platz über dem kleinen Altar gefunden hatte, raumfüllend
und gewaltig. Direkt unter ihm prangte weiß das Zipfelkreuz der Johanniter, und
über diesem floss das Blut des Johannes in die Signatur Micheles. Wie Statisten
wirkten die Figuren auf Micheles Bild. Zu keiner konnte man Blickkontakt
aufnehmen, so als würde es sie nicht interessieren, was die Gläubigen, die sie
betrachteten, von der Szene hielten. Alle waren sie erfüllt von einer
resignierten Hinnahme des Unausweichlichen. Plötzlich fühlte sich Nerina verloren.
Das Bild, so gewaltig es in seinen Emotionen, in seinen Dimensionen war, es bot
dem Hilfesuchenden keinen Halt, sondern machte ihn zum Voyeur der Opferung. Nerina
begriff, dass Michele eben dieses Gefühl in das Bild hatte hineinlegen wollen.
Niemand sprang ihm bei, niemand griff ein. Alle standen um ihn herum und
verzogen ihre Gesichter vor Schmerz um den Verlust des Heiligen, wie er sich im
Gesicht der Alten widerspiegelte, nahmen aber schicksalsergeben das Urteil hin,
das auf Geheiß einer höheren Macht vollstreckt wurde.
    Spätestens jetzt wusste sie, dass
sie ihm helfen würde, dass sie ihm beistehen musste, ungeachtet seines
Verhaltens. Ihn lähmte das Bewusstsein, dass er seinen Verfolgern nicht trotzen
konnte, dass sie ihn eingekesselt hatten – warum auch immer.
    „Was wollt Ihr von mir, Nerina,
oder wie Ihr Euch sonst nennen mögt in dieser Maskerade?“
    Den Johanniter hatte sie ganz aus
dem Gedächtnis verloren. Sie stotterte einige Worte, bis sie sich zurechtgelegt
hatte, was sie bedrückte.
    „Fra Domenico ... wenn ... ich
meine ... Euer Bruder wird nicht mehr ins Leben ... was ich sagen wollte, es
gibt Möglichkeiten, den Tod eines Menschen nicht über die Blutrache zu sühnen.
Mit Michele habe ich noch nicht gesprochen, aber ich glaube, er wäre bereit eine
von Euch oder Eurer Familie genannte Summe als Entschädigung für den Tod ...!“
    „Schweigt!“, herrschte sie

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