Das Vermaechtnis des Caravaggio
die einzelne Pfanne, wenn über ihr die Sonnenhitze
stand und die Luft flirrte. So ähnlich ging es ihm mit dem Blick auf
Caravaggios Leben. Je weiter er sich von Rom entfernte, je weiter die
Geschichte seiner Flucht und der Versuch, ihn zu rehabilitieren, fortschritten,
desto unklarer sah er das Geschehen, desto bewegter und unschärfer wurde der
Blick darauf. Seine Augen ermüdeten, schlossen sich. Nur schwer fand er zurück
in die Gedankengänge, eine Erschöpfung lähmte seinen Tag, von der er wusste, dass
sie eine Faulheit des Denkens war, nicht der Mangel an Schlaf. Er musste sich
zwingen, zwang sich.
Neapel nahm Caravaggio auf, das
spanische Neapel, und dort konnte er sein Wirken ausbauen, konnte Technik und
Ansehen verbessern. Schüler scharten sich um ihn, versuchten ihn zu kopieren,
sich an ihm zu messen, von ihm zu lernen. Wenn Pater Leonardus’ Berichte die
Wahrheit sagten, dann ging mit ihm ein Stern am Himmel der Malerei auf, wie
seit Michelangelo Buonarroti nicht mehr. Mit Aufträgen überhäuft beruhigte sich
sein Wesen, seine Reizbarkeit ließ nach, sein Arbeitseifer erklomm nicht geahnte
Gipfel.
Scipione Borghese öffnete die
Augen. Seine Bemühungen waren erfolgreich gewesen. Gerade gestern war mit dem
Brief des Paters ein Bild eingetroffen, das die neue Meisterschaft Caravaggios
belegte. Ein Johannes der Täufer, eigentlich ein Johannesknabe, ruhte sich auf
dem Gemälde in einer Wildnis aus, neben sich einen ausgewachsenen Widder, das
Leittier seiner Herde, bewehrt mit kraftvollen Hörnern. Nackt bis auf ein Tuch um
die Hüfte saß er auf einem Felsen und blickte auf den Betrachter, trostlos der
Gesichtsausdruck, als würde ihn, den Jüngling, eine Ahnung des Todes anwehen,
dem jugendlichen Körper die Lust auf denselben für den Moment der Erkenntnis
der Vergänglichkeit verwehren.
Solche Bilder waren in seinen Augen
getränkt mit einem tief empfundenen Wissen um die Welt, um das menschliche Sein
mit all seinen Abgründen.
Er empfand Freude über die
Erwerbung und Freude und Genugtuung gegenüber dem Oheim, der ihm das Sammeln
hatte verbieten wollen.
Zurück musste er seine Gedanken
wieder zwingen, zurück auf die Hauptlinie seines Nachdenkens. Denn spätestens
an dieser Stelle verwirrten sich die Fäden, die er zu Caravaggio gesponnen
hatte – und er wusste nicht warum. Alles gelang, wie er es sich vorstellte, und
doch schien es, als hielte ein Dritter die Finger an den Fäden der Marionetten.
Die Ergebnisse befriedigten ihn nicht.
Caravaggio war nach Malta
abgereist, das hatte er noch vor gut einem Jahr von Pater Leonardus erfahren,
nicht jedoch, warum. Ihm hatte vorgeschwebt, der Maler folge einem Auftrag. Er
hatte vermutet, der Großmeister in La Valletta habe ihn für Arbeiten zu sich kommen
lassen. Jetzt aber sah alles anders aus. Pater Leonardus’ letzter Brief öffnete
die Tür zu einer anderen Überlegung. Michele war mit dem 14. Juli 1608 zum
Ritter geschlagen und in den Orden der Johanniter aufgenommen worden, als Cavaliere
di Grazia. So nebensächlich ihm die Nachricht zuerst erschienen war, so
alarmierend wurde sie, als er nachgefragt und sich vergewissert hatte. Sofort
hatte er gewusst, dass es kein Zufall sein konnte, dass es ein Anschlag auf
seine und Kardinal Gonzagas Bemühungen war, Caravaggio wieder nach Rom zu
holen. Kein Ritter durfte Malta nämlich ohne persönliche Genehmigung des
Großmeisters verlassen. Was hier Ehre genannt wurde, war weiter nichts als die
dauerhafte Einweisung in ein Gefängnis.
Im ersten Augenblick hatte er jede
Beteiligung seines Oheim weit von sich gewiesen und trotz der klaren Hinweise
einen Zufall angenommen, aber über Julia hatte er erfahren, dass Kardinal Del
Monte und sein Oheim Briefe austauschten, in denen über ein päpstliches Dekret
und eine päpstliche Sondererlaubnis an den Großmeister des Ordens, Alof de
Wignacourt, verhandelt wurde, die eine Aufnahme Michele Merisis in den
Johanniter-Orden erlaubten, da nur Adlige in ihn eintreten durften. Dies roch allzu
sehr nach einem Plan, in dem nur die Aufgabe Kardinal Del Montes undurchsichtig
blieb.
Eines erwies sich allerdings als
sicher. Jemand musste die Entscheidungen Caravaggios vor Ort, in Neapel also,
steuern, jemand musste ihn auf die Idee gebracht haben, nach Malta zu gehen.
Zwar wusste Scipione Borghese, dass Enrico, der Sekretär Ferdinando Gonzagas,
in Neapel geweilt hatte, aber der frischgebackene Kardinal stand, vor allem als
Kunstkenner und Unterstützer der
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