Das Vermaechtnis des Caravaggio
herausgekommen.“
Verwundert hörte Nerina, was
Michele ihr erzählte. Selbst im Schatten der Häuser flirrte die Luft und
trocknete die Kehlen aus. Ihr verschwamm sein Gesicht immer wieder, als wolle
es sich auflösen und verschwinden.
„Ich dachte, du wirst demnächst in
die Reihe der „Cavaliere di Grazia“ aufgenommen.“
„Ritter zweiter Klasse! O ja, damit
sind sie schnell. Es nützt mir aber nichts. Nur als Cavaliere di Giustizia wäre
ich vor den Nachstellungen Fra Domenicos sicher.“
Leicht irritiert hielt Nerina ihn
am Arm fest. Seine Blicke wirkten unsicher, huschten hierhin und dorthin,
suchten nach nicht vorhandenen Personen über ihrer Schulter. So kannte sie
Michele nicht. Ihre Frage, die sich seit Langem im Kopf gebildet hatte, aber
jetzt nur über eine krächzende Stimme und einen trockenen Hals ins Freie fand,
ließ ihn noch nervöser, noch zappeliger werden.
„Ich werde dir helfen, aber zuvor musst
du mir noch etwas sagen: Stimmt es, was Fra Domenico über dich erzählt hat? Dass
du in deiner Jugend bereits einen Menschen ermordet hast? Sag’s mir. Ich muss
es wissen.“
Er sah sie mit geweiteten Pupillen
an, dann senkte er den Kopf und schüttelte ihn heftig und lange. Sein
zotteliges, verschwitztes Haar schlug ihm dabei ins Gesicht.
„Lüge, alles Lüge. Ich habe
niemanden ermordet. Warum hängt mir nur alle Welt Geschichten von Mord- und
Totschlag an?“
„Ist ja gut!“, versuchte sie
Michele zu beschwichtigen, glaubte ihm aber nicht recht. Seine Reaktion wirkte
zu oberflächlich, zu einstudiert, seine Vereidigung matt, als hätte er es
aufgegeben, sich für das Vergehen zu rechtfertigen. „Du sagst nicht die
Wahrheit, Michele!“, flüsterte sie, und sie vernahm selbst das Raue ihrer
Stimme.
Plötzlich fielen Lethargie, Angst
und Bedrückung von ihm ab. Sein Körper straffte sich, seine Augen fingen Feuer,
so hell leuchteten sie auf.
„Fällst du mir in den Rücken?
Glaubst du mir etwa nicht? Verschwinde, Weib. Ich bin der Letzte, der auf
fremde Hilfe angewiesen ist. Wenn ich von Malta fort will, wird es mir gelingen.
Auch ohne dich.“
Abrupt wandte er sich ab und ging
in Richtung Hafentor davon. In seiner Haltung lag etwas Stolzes, Unnahbares,
das Nerina verblüffte und ohne Widerworte zurückließ. Sie blickte ihm
hinterher, eine brüchige Existenz, durch die der Riss ihrer Zeit ging, und sein
schwacher Körper eignete sich nicht für eine derartige Wunde. Daran musste er
verbluten.
Ihr Wiedersehen hatte sie sich
anders vorgestellt, herzlicher, offener. Sie wusste nicht, ob sie ihm nun
folgen oder seinem Schicksal überlassen sollte. Beide Möglichkeiten schienen
ihr denkbar. Als sie sich endlich dazu entschloss, über ihren Schatten zu
springen und auf Michele zuzugehen, dessen aufrechte Gestalt auf halber Strecke
die Straße hinunter wieder zu der ärmlichen, hinkenden und schlurfenden
zurückgesunken war, sprang Nero auf Michele zu, umrundete ihn und versuchte,
seine Hand zu lecken. Widerwillig überließ dieser seine Finger dem Hund.
Sofort suchte Nerina die
Hauseingänge der Gebäude rechts und links der Straße ab. Wo Nero auftauchte,
befand sich sein Herr in der Nähe. Tatsächlich trat im selben Augenblick hinter
Michele Fra Domenico aus einem mit Holzschnitzereien verzierten Eingang auf die
Straße und auf Michele zu. Dieser schien seine Anwesenheit nicht zu bemerken.
Erst als er sich zu ihm hinunter beugte und ihn von schräg hinten ansprach,
zuckte Michele zusammen, als wäre er von einem Peitschenhieb getroffen worden,
setzte aber unbeirrt seinen Weg fort. Fra Domenico blieb stehen und drehte sich
zu ihr um. Ob er sie erkannt hatte, wusste sie nicht zu sagen, denn als er von
Michele abließ und auf sie zustrebte, huschte sie in die nächste Querstraße und
begann zu rennen.
10.
Nerina musste all ihren Mut
zusammennehmen, um auf den Johanniter zuzugehen und ihn aus der Andacht herauszureißen,
in die er versunken war.
Dieses Malta gerann zu einem
einzigen Warten. Ganze Tage hindurch war sie beinahe stündlich hierher ins
Oratorium gekommen, um Michele zu sehen, seine Pinselführung zu studieren, mit
der er das Gemälde der Enthauptung des Johannes beendete – und seine Missachtung
zu ertragen, mit der er sie übersah. Sie wusste von anderen, dass er es zum
Jubiläum des Heiligen, zum Festtag der Enthauptung San Giovannis, am 29.
August, anfertigte. Dabei ahnte Michele nicht einmal, warum sie sich so
hartnäckig an ihn hängte. Ihr eigentliches Anliegen
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