Das Vermaechtnis des Caravaggio
Streits mit Fra Domenico, der
nicht leise erfolgt war. Sollte sie ihm, der sie schon einmal belogen hatte und
gefährlich nahe gerückt war, Glauben schenken? Sie versuchte zuerst auf
neutrales Gebiet auszuweichen.
„Vier Bilder? Wo befinden sich das
dritte und das vierte Bild?“
„Habt Ihr den Hieronymus nicht
gesehen, der in der italienischen Kapelle hier in der Kathedrale hängt? Gleich
um die Ecke. Seht es Euch an. Hieronymus als alternder Mann, der sich seiner
Schrift zuwendet. Braver, päpstlicher als der römische Heilige. Und einen
schlafenden Cupido. Sehr sinnlich das Werk. Es steht zum Verkauf an. Deshalb
bin ich hier.“
Pater Leonardus trat mit jedem Wort,
das er sprach, näher. Diese unangenehme Eigenschaft kannte sie bereits und
überlegte, auf welche Seite hin sie ihre Flucht vorbereiten musste.
„Was seid Ihr, ein
Leichenfledderer, ein Aasgeier, der die Toten ihrer Kleider beraubt oder sich
auf die Überreste der Mahlzeiten stürzt? Seht Ihr nicht, unter welchen
Umständen diese Werke entstehen? Seht Ihr nicht, dass es Michele beinahe
umbringt, wenn er weiter so arbeitet?“
Pater Leonardus zuckte mit den
Schultern.
„Ihr tut mir Unrecht!“ Offenbar
erkannte er Nerinas Vorhaben, einen Kniestuhl zwischen sich und ihm sowie die
Möglichkeit zu belassen, aus dem Oratorium fliehen zu können, weil er seine
Wanderung abrupt unterbrach. „Macht mir daraus keinen Vorwurf. Ich bin erst
seit wenigen Tagen auf Malta.“
Nerina trocknete der Mund aus.
Einerseits wollte sie sich nicht in die Enge treiben lassen, andererseits
wollte sie sein Angebot wahrnehmen. Hatte der Pater nicht gesagt, er wüsste,
was diesen Hass Fra Domenicos verursachte.
„Erzählt. Was macht Fra Domenico zu
Micheles unversöhnlichen Feind?“
„Dann legt Ihr bei Michele ein Wort
für mich ein?“
„Ich werde es versuchen!
Berichtet!“
Wieder ließ sich Pater Leonardus
auf die Knie nieder und faltete die Hände. Er sah Nerina an, und sie bemerkte,
wie das seitlich einfallende Licht seine Augen beinahe durchsichtig werden
ließ. Ihr vermittelte das ein Gefühl, als sei der Pater blind, oder schlimmer, als
wäre er mit den toten Augen der Fische ausgestattet, der Raubfische. Mit einer
Hand musste sie sich an einem der Kniestühle festhalten und schließlich die
Arme über der Brust schließen, so kalt wurde ihr. Einmal blickte der Pater noch
zum Ausgang, ob auch niemand sie störe, dann räusperte er sich.
„Nun. So hört zu ...“
11.
Langsam durchschaute Scipione
Borghese die Intrige seines Oheims. Zum einen bewunderte er die Konsequenz, mit
der dieser seine Ziele verfolgte, zum anderen schüttelte er den Kopf darüber,
wie gerissen der Papst hinter seinem Rücken agierte. In einem breiten Ohrensessel
hatte sich Scipione niedergelassen, die Beine hochgelegt und Sessel sowie
Fußschemel so gestellt, dass die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, die
Beine angenehm wärmten, während der übrige Körper vom Schatten gekühlt wurde.
Geschlossenen Auges, den Kopf zurückgelehnt, dachte er nach. Die Haltung
entspannte ihn und regte seinen Verstand an.
Michele Merisi hatte also aus Rom
fliehen müssen, weil der Papst ihm in Rom einen Mord in die Schuhe geschoben
hatte, den er nicht begangen hatte. Eine Inszenierung, eine Bühnenposse, weil
der Neuerer Caravaggio sich in seinen Bildern den jungen, konservativen
Tendenzen der Kirche entgegenstellte. Mit diesen modischen Ideen geduldet hatte
ihn sein Oheim nur so lange, als ihm die Bekanntheit nützte. Die italienische
und die französische Fraktion, zumeist intellektuelle Kirchenfürsten, die einer
neuen Zeit anhingen, die wenig von Theologie, aber umso mehr von Kunst und
Naturwissenschaften verstanden oder nur am finanziellen Aufstieg ihrer Familien
interessiert waren, hatten sich in der Auseinandersetzung um die Bilder des
Malers vereinen lassen. Doch dann überzog Caravaggio die Neuinterpretation des
Glaubens mit dem „Tod Mariäs“, und gleichzeitig nahm sein Oheim die letzte
Treppenstufe zum Papstthron. Der Maler fiel in Ungnade. Man benötigte ihn nicht
mehr. Man wollte ihn beseitigen. Nur eine Flucht rettete Caravaggio.
Soweit verstand Scipione Borghese
die Abläufe.
Langsam öffnete er die Augen.
Gegenüber der Fensteröffnung blickte er auf das Dach des Nachbargebäudes, das
mit Ziegelpfannen bedeckt war, deren unterschiedliche Farben von rötlich bis
gelb variierten. Schlieren durchzogen die Formen, und diese vermittelten den
Eindruck, als bewege sich
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