Das Vermaechtnis des Caravaggio
und
zuzustechen.
„Michele, ich bin’s!“
Auch an seiner Art zu gehen, hatte
sie ihn erkannt, an seinem leicht wiegenden, wie hinkend wirkenden Gang, der
die Folge einer Beinwunde aus einem Duell war. Er trug, was ein Caravaggio
trug, der seit beinahe einem Jahr in Malta weilte. Ein Wams und Hosen sowie
Strümpfe und Schuhe, die er sicherlich von Alof de Wignacourt erhalten hatte,
als er auf die Insel gekommen war. Michele hatte sie seither nicht erneuert,
nicht geflickt, vermutlich nicht einmal ausgezogen, sondern die ganze Zeit
darin geschlafen und gearbeitet. Er sah abgerissen aus, aber in der Art der
ärmlichen Eleganz eines Landedelmannes, dessen Finanzen desolat und dessen
Kredit vernichtet war.
„Wer seid Ihr?“
Michele fragte sie mit einer
Stimme, die brüchig und müde klang. Sofort war sie hellhörig. Etwas stimmte
nicht.
„Michele, ich bin es, Nerina.“
Langsam drehte sich Michele zu ihr
um und musterte sie aufmerksam. Dabei zuckte seine Hand nach dem Degen und zog
ihn halb aus der Scheide.
„Haltet mich nicht zum Narren.“
Wie von selbst fuhr ihr die Hand an
den Mund, als sie Micheles Gesicht sah. Seine Augen lagen tief in den Höhlen
und waren dunkel umrandet, seine Wangen fielen ein und ein Zahn fehlte. Schweiß
stand ihm auf der Stirn, die Unterlippe zitterte, und er schwankte leicht.
Kurz wanderte sein Blick an ihr auf
und ab. Kein Erkennen blitzte in seinen Augen auf. Sie blieb ihm fremd in den
Männerkleidern.
Rasch blickte Nerina nach links und
rechts, ob ihnen jemand nahe genug war, sie zu
belauschen.
„Erkennst du mich nicht mehr?
Nerina! Du hast mich bei Enrico zurückgelassen. Der Fuß. Jetzt bin ich hier.
Als Frau wäre ich nie allein nach Malta gekommen!“
Langsam trat sie näher und lächelte
ihn an, aber Michele blieb misstrauisch, bis sie ihm ihre Hände zeigte,
Frauenhände, schmal und feingliedrig weiß, nicht hart und vernarbt wie seine
eigenen.
„Nerina?“
„Endlich! Ich warte seit Tagen
darauf, dass du aus diesem Palast herauskommst.“
„Nerina! Dich schickt der Himmel.“
„Warum? Was ist geschehen?“
„Wo wohnst du? In der Herberge der
Italiener, der Sizilianer, der Franzosen?“
„Weder noch. Bei einem Fischer vor
den Mauern.“
„Warum?“
„Fra Domenico, du kennst ihn, aber
das ist eine lange Geschichte. Ich wundere mich ohnehin, dass er mich innerhalb
der Mauern noch nicht gefunden und gefasst hat.“
Michele nickte kaum sichtbar,
senkte den Blick zu Boden und malte mit der Schuhspitze im Sand, der das
Pflaster bedeckte. Dann blickte er hoch, langte zu ihr hinüber, berührte kurz
ihr silbernes Amulett, das sichtbar vor ihrer Brust hing.
„Er braucht dich nicht mehr. Jetzt
hat er mich. Komm weg von hier.“
Beide musterten sie noch einmal die
Umgebung, an der nichts auffällig war. Michele fasste sie am Arm und zog sie
weiter die Straße hinunter, weg vom Großmeisterpalast. La Vallettas Anlage
erlaubte keine kleinen Seitengassen, keine Schlupfwinkel oder schmale
Durchstiche, wie sie in Rom und Neapel zum Straßenbild gehörten. Die
Stadtfestung war durchgeplant, übersichtlich, ebenso offen für den Feind wie
für die Verteidiger, ein Schachbrett strategischer Kriegsführung.
Aber wenn ihr gemeinsamer Gegner
Fra Domenico sie verfolgte, musste er nur ihrem Geruch nachgehen, dachte
Nerina. Michele dünstete Schweiß, Wein, Urin und das staubige Aroma von
Farbpigmenten aus.
„Michele. Was ist los? Du siehst
fürchterlich aus, und einen Badetrog hast du sicherlich seit Monaten nicht
gesehen.“
An eine Mauer gelehnt blieb Michele
stehen und sah sie an. Kinn und Wangen wurden von scharfen Falten unterteilt,
in denen die Barthaare noch länger standen als sonst und schwarze und graue
Inseln bildeten. Erschöpfung sprach aus der ganzen Haltung, aus seinen
langsamen Bewegungen, aus dem verschleierten Blick, mit dem er sie musterte.
„Die Maskerade steht dir!“
„Danke, aber sprich endlich.“
„Ich muss weg von der Insel,
Nerina. Sobald als möglich. Fra Domenico hat mich beim Großmeister
angeschwärzt. Der kann mich nur schützen, weil einer meiner Gönner hier,
Francesco Sforza Colonna, auf meiner Seite steht und das dritte Bild für den
Großmeister noch nicht fertig ist. Sobald ich es abgeschlossen habe, stehe ich
hier auf der Liste unliebsamer Personen. Ich habe keine Lust, mich im Kerker
von Sant’Angelo wiederzufinden. Soweit ich weiß, ist von dort noch nie jemand,
der eingeliefert wurde, je wieder lebend
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