Das Vermaechtnis des Caravaggio
und
schützt.“
Nerina wusste nicht recht, ob sie
es befürworten oder dagegen einschreiten sollte, dass Minniti ihn anpries wie
eine reife Melone. Aber sie benötigten Geld, denn sie wollten dem alten Freund
Micheles aus alten Tagen in Rom nicht zu lange auf der Tasche liegen, obwohl er
sich gern im Glanz des Namens Caravaggio sonnte.
„Ein Bild?“
„Ein Bild zur Heiligen Lucia! Ein
Altargemälde für die erneuerte Kirche Santa Lucia al Sepolcro!“
Michele, der Nerina auf ihren
Streifzügen immer stiller und zerbrechlicher erschienen war, blühte plötzlich
auf. Seine Augen funkelten und für einen Augenblick schien er Nerina der Alte
zu sein.
„Sie werden sich wundern!“
18.
Starr vor seinem Bild stehend, fand
Nerina Michele, als wären seine Bewegungen eingefroren. Nur der Pinsel zitterte
und verriet die innere Erregung, die ihn festhielt.
„Ich habe ihn gesehen, Nerina. Er
ist hier!“
Nerina trat näher. Sein Gemälde der
Grablegung Santa Lucias benötigte nur noch einige wenige Korrekturen. In knapp
zwei Wochen war es ihm aus dem Pinsel geflossen, in einer Technik, die den
huschenden Pinselstrich seiner Flucht wiedergab, ihn als technische Variante
einsetzte. Unfertig wirkte es, mit Stellen, an denen die Farbe kaum die
Leinwand bedeckte. Eben setzte er dem Totengräber Lichtflecken auf Ohr und
Nacken.
Einer plötzlichen Eingebung
folgend, verstand Nerina das Bild. Wieder verblüffte sie Micheles Zugriff auf
die einfachsten Dinge. Alle versammelten sich hier um die Heilige, der Bischof,
die Klagefrau, der reiche Händler und die Armen der Stadt, sogar die
unehrlichen Berufe, sonst an den Rand der Gesellschaft gedrängt, verdammt
zuzusehen, wurden hier in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Die
heilige Lucia versammelte bei ihrem Tod alle Menschen um sich, nicht nur
diejenigen, die einer menschlichen Gemeinschaft genehm waren. Im Tod wurden
alle irdischen Gegensätze aufgehoben und wieder in Einklang miteinander
gebracht.
Sie roch den Wein, den er
ausdünstete. In seinem Kopf musste er einen See bilden, so stark trank er
wieder, bis er nicht mehr stehen konnte oder in diese Starre fiel, aus der er
selten allein erwachte. Es war ein Fehler gewesen, wieder in die Stadt
zurückzukehren, statt in der Hütte in der Nähe der Latomia del Paradiso zu
bleiben. Dort hatte es weniger Wein gegeben, während Michele jetzt wieder
regelmäßig die Osterias aufsuchte.
„Wen hast du gesehen, Michele?“
„Fra Domenico!“
Kaum hatte er den Namen
ausgesprochen, fiel es Nerina wie Schuppen von den Augen. Direkt vor ihr stand
Fra Domenico, angetan mit einer weißen Tunika, die seine linke Schulter frei
ließ, den Körper gebeugt, den rechten Arm angewinkelt, um den Spaten
anzusetzen. Micheles Totengräber zeigte niemand anderen als Fra Domenico!
„Das bildest du dir ein, Michele!“
Wie ein Fluch lasteten Licht und
Hitze die letzten Tage über der Stadt und zwangen die Menschen, sich tagsüber
in ihren Häusern zu verkriechen.
„Ich war gestern in der Stadt, in
einer Osteria am Hafen. Er ist an mir vorüber, ohne mich zu erkennen. Er war
es, glaub mir.“
Langsam schüttelte Nerina den Kopf.
„Du fantasierst, Michele. Gestern
hast du in deinem Bett geschlafen. Ich selbst habe dich dorthin gebracht. Glaub
mir. Du wärst nicht in der Lage gewesen, auch nur einen Schritt zu gehen.“
„Ich war am Hafen – und es war Fra
Domenico!“
„Wo sollte er herkommen? Ich habe
keine Galeere gesehen. Ein Ordensritter reist auf einer Galeere von Malta fort.
Standesgemäß. Im Hafenbecken schwimmt keine Malteser Galeere.“
„Gestern Nacht hat sie angelegt und
ist vor dem Morgengrauen wieder verschwunden. Ich habe sie gesehen!“
Nerina seufzte. Diese Gespräche
entmutigten sie, vor allem deshalb, weil Michele nicht mehr zwischen seinen
Träumen und der Wirklichkeit unterschied. Sie flossen für ihn ineinander,
gebaren Trugbilder, die sich fest in seinem Gedächtnis eingruben, aber
jeglicher Realität entbehrten. Sie versuchte das Gespräch in eine andere Richtung
zu lenken.
„Warum arbeitest du so
oberflächlich, Michele. An manchen Stellen fehlt der Farbauftrag. Warum?“
Er ließ sich tatsächlich ablenken.
Seine Hand senkte sich, die Starre verlor sich offenbar, und Michele trat einen
Schritt zurück, um das Bild selbst aus einiger Entfernung zu betrachten.
„Man muss ein Bild beenden können,
ohne es zu vollenden. Das Leben ist ebenso unfertig wie mein Gemälde. Wer sehen
will,
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