Das Vermaechtnis des Caravaggio
geboten worden, oder dem Senat der
Stadt? Hatte Michele vielleicht doch recht, als er davon gesprochen hatte, Fra
Domenico in Syrakus gesehen zu haben? Hatte er die nächtliche Galeere doch
nicht erfunden, sondern tatsächlich mit eigenen Augen gesehen?
„Wir müssen fliehen, Nerina“,
flüsterte Michele. Seine Schultern waren eingesunken, sein Kopf hing vornüber,
als trüge er eine schwere Last.
„Wohin, Michele? Ich will nicht
mehr fliehen!“
„Zurück nach Rom! Hat nicht Enrico
gesagt, er setze sich für mich ein? Längst müsste er zurück sein, längst eine
Antwort aus dem Vatikan für mich bereit haben. Nur die Phalanx der Kardinäle
kann mich schützen.“
Langsam sank Michele auf die Knie,
eine Hand in die Magengrube gepresst, und ließ den Kopf vornüber sinken. Von
seiner Stirn tropfte Schweiß auf den Fußboden aus Steingut und hinterließ dort
dunkle Flecken.
„Sicherlich sucht er uns, aber ob
er uns findet?“
„Ich denke“, schaltete sich Mario
Minniti in das Gespräch ein, das sich ohnehin nur schleppend vorantastete und
ausreichend Platz bot für eine dritte Stimme, „ihr solltet einfach
weiterziehen, bis der Dispens aus Rom eingetroffen ist. Sollte Enrico kommen,
dann schicke ich ihn zu Euch. Ich habe Freunde in Messina, die Euch gern
aufnehmen werden. Mehr kann ich nicht tun. Ihr habt Zeit, Michele, Nerina. In
Eurem Interesse bat mich der Bischof, Euch mitzuteilen, dass die spanische
Garnison nach Euch suchen wird. Nicht heute, nicht morgen, aber in den nächsten
Tagen. Der Bote aus Malta drängt – und man wird ihm nicht lange widerstehen
können.“
Der Bote aus Malta! Jetzt waren für
Nerina auch diese Zweifel ausgeräumt. Fra Domenico befand sich in Syrakus. Die
nächtliche Galeere entsprang nicht Micheles Fantasie.
„Wir beeilen uns, Mario. Danke!“
Mit einem Wink ihrer Augen schickte
sie Mario aus dem Raum, während sie sich neben Michele auf den Boden kniete.
„Erzähl, Michele, warum lohnt es
sich für mich, dir zu folgen? Warum überlasse ich dich nicht einfach deinem
Schicksal? Fra Domenico interessiert sich für dich, nicht für mich!“
Micheles Gesicht lag in den Schalen
seiner Handflächen. Stumm bewegte sich sein Oberkörper vor und zurück, vor und
zurück. Mitleid empfand sie für ihn, Mitleid und Bedauern, weil sie fühlte, dass
er sich mit dieser Geschichte selbst zerstörte.
„Ich habe ihn und seinen Bruder gemalt,
vor Jahren, in Mailand. Damals habe ich zu den Gesellen in Meister Peterzanos
Bottega gezählt. Mich mochte und förderte er, aber bald musste er einsehen, dass
er mir nichts mehr beizubringen vermochte. Die beiden Fanten sollten meine
letzte Arbeit sein, mein Gesellenstück sozusagen.“
Michele redete schleppend und
leise, als kämpfe er mit der Erinnerung und müsse sie für sich hersagen. Ganz
beugte sich Nerina zu ihm hinunter, wollte keinen Ton, kein Wort verlieren.
Seine Augen hielt Michele geschlossen, sein Oberkörper begann zu wippen. Ein
Bad im Meer oder in einem der Flüsse hätte ihm gutgetan, dachte sie sich,
während ihr sein säuerlicher Körpergeruch in die Nase stieg, eine Mischung aus Wein
und Schweiß.
„Meine Schwester Caterina brachte
mir zu essen, während ich über die Mittagszeit an dem Bild saß. Ich bemerkte es
zuerst nicht, dass sich der junge Antonio Di Russo, das heißt eigentlich der
ältere der beiden Brüder, meiner Schwester genähert hat. Sie haben sich
mehrmals heimlich getroffen, haben Zärtlichkeiten ausgetauscht, bis ...“
Ein Zittern durchflutete Micheles
Körper, der sich zusammenzog und weiter krümmte. Nerina ließ ihre Hand seinen
Rücken entlang gleiten, streichelte ihn, bis er sich beruhigt hatte.
„Was ist geschehen, Michele?“
„Meine Schwester träumte, aber
niemals wäre ihr Traum wahr geworden. Die Braut eines Adligen. Stell dir das
vor. Ich versuchte, ihr diesen Irrsinn auszureden. Eine Bürgerliche und einer
von Adel. Niemals hätten die Familien dieser Verbindung zugestimmt, und der
junge Di Russo wusste es. Sie war nicht standesgemäß. Er versprach ihr trotzdem
alles, ein Leben in Wohlstand, seine Liebe, Treue ... alles, was sie dazu hätte
veranlassen können, ihn mit in ihr Bett zu nehmen!“
Es war das alte Spiel, von dem
Michele erzählte. Das Spiel von Verlangen und Sehnsucht, von Tradition und
Überwindung, von Liebe und Begehren. Und es war das Spiel von Eroberung und
Fall, von Sieger und Verlierer.
„Hat er sein Ziel erreicht?“
„Ja ... und nein.“
Sie
Weitere Kostenlose Bücher