Das Vermaechtnis des Caravaggio
sieht.“
Man sah, das musste Nerina
zugestehen. Die Grablegung Santa Lucias strahlte eine Wahrhaftigkeit aus, die
vom tief empfundenen Schmerz dieses Begräbnisses gesättigt war. Die Heilige lag
auf dem Rücken, bereit, ins Grab hinabgelassen zu werden, sobald es ausgehoben
war. Die eine Hand lag leblos auf dem Körper, die andere stand ab, sodass sich
Nerina an die tote Lena erinnert fühlte, für die Michele dieselbe Haltung
gewählt hatte. Auch sie lag auf dem Rücken, auch sie wirkte etwas gedunsen, als
wäre der Körper bereits in Verwesung übergegangen. Nur ihr Kopf ...
„Michele. Du hast den Kopf geändert!“
Warum, ahnte Nerina. Der städtische
Senat von Syrakus teilte sich in zwei Lager. Einmal die Vertreter, die sich an
der Kurie in Rom orientierten – der Bischof, Micheles eigentlicher Auftraggeber,
gehörte dazu -, die der neuen gegenreformatorischen Weltsicht Papst Pauls V.
zusprachen und die deshalb eine andere Legende der heiligen Lucia gelten lassen
wollten als das zweite Lager, das in der Gedankenwelt des griechischen Syrakus’
verankert war, eher lokal dachte. Mit einem Wort, die Auseinandersetzung
zwischen den lateinischen Quellen der Legende der Heiligen und den
griechischen. All das war ein Politikum ersten Ranges. Michele konnte nur
verlieren.
„Ich habe Angst, Nerina. Er ist
da!“
Gestern noch hatte der Kopf zwar an
derselben Stelle gelegen, war aber deutlich abgetrennt gewesen. Ein Spalt
zwischen ihm und dem Frauenkörper hatte dies deutlich gezeigt. Heute hatte
Michele diese Lücke geschlossen, nur eine Stichwunde erinnerte noch an ihren
Märtyrertod. Zwar verlängerte sich dadurch die Halspartie, aber eine
Überstreckung des Kopfes verbarg den Makel.
Nerina legte eine Hand auf Micheles
Schultern, weil sie bemerkte, wie er am ganzen Körper zitterte. Wein,
Schlafmangel und die beständige Furcht vor Entdeckung, diese fortdauernde
Bedrohung zermürbten ihn, obwohl ihn weder Mario noch der Senat von Syrakus
drängten. Sogar ein Teil des Geldes lag in ihren Händen, und Minniti hatte sich
bislang geweigert, für ihren Aufenthalt eine Bezahlung zu nehmen. Die Ehre, den
bekanntesten Maler Italiens bei sich beherbergen zu dürfen, sei ihm Lohn genug,
hatte er betont.
„Wir müssen fliehen! Weg von hier,
weiter!“
„Michele. Wir können nicht ständig
fliehen. Ich will es auch nicht. Man kann nicht immer vor allem davonlaufen!“
„Er ist der Teufel! Ich muss zurück
in den Schutz des Vatikans. Seine Rache ist der Tod!“
Eiskalt lief es Nerina den Rücken
hinunter, und als hinter ihr die Tür schlug, fuhr sie herum. Sie sah ein
ebensolches Erschrecken im Gesicht Mario Minnitis, wie sie es empfand.
„Was ist? Ihr tut so, als hättet
Ihr in mir den Leibhaftigen gesehen!“
Nerina atmete tief durch. Auch
Michele war herumgefahren und schreckensbleich stehengeblieben.
„Ihr habt es erraten, Mario. Euer
Auftritt konnte kaum wirkungsvoller sein.“
„Dann trifft meine Hiobsbotschaft
ja die Stimmung. Michele, heute erfuhr der Senat, dass man dich aus dem Orden
der Ritter des Johannes ausgestoßen hat. Kein Ritter darf ohne Erlaubnis die
Insel Malta verlassen. Wer dem zuwiderhandelt, der wird ausgeschlossen und exkommuniziert.
Letzteres scheint ausgesetzt worden zu sein, aber du gehörst dem Orden nicht
mehr an. Das soll ich dir überbringen!“
Beinahe fassbar schien die Stille,
die diese Nachricht auslöste. Michele stand da und rührte keinen Muskel. Nur
die Farbe seiner Gesichtshaut wechselte von gelblich-blass über grünlich zu
hochrot. Dann brach es aus ihm heraus.
„Sie werden mich nicht
hinauswerfen! Ich bleibe Ritter mein Leben lang! Was untersteht sich dieser
Laffe von Großmeister! Dieser Wignacourt! Er ist nicht Gott!“
„Mäßige dich, Michele. Er steht
jedenfalls nicht weit hinter dem Papst, in manchen Belangen sogar noch vor ihm.
Seine Männer haben schließlich die Türken aufs Haupt geschlagen. Diese Macht
vergisst man nicht.“
Nur langsam begriff Nerina, was
geschehen war. Dem Senat schien eine Botschaft zugegangen zu sein, aus der
hervorging, dass Michele geflohen war und damit den Ehrenkodex der Johanniter
gebrochen hatte. Soweit konnte sie die Ereignisse begreifen. Was sie nicht
begriff war, wer die Botschaft überbracht hatte. Die Johanniter waren bekannt
dafür, dass sie unliebsame Zeitgenossen über all ihre Verbindungen hinweg
anschwärzten und sogar mit Drohungen bearbeiteten, damit sich niemand ihrer
Rache entziehen konnte. War Minniti Geld
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