Das Vermaechtnis des Caravaggio
verflucht, Michele?“
Seinen Krug vor sich, starrte
Michele in die Menge, die beständig aus und ein ging. In der Osteria schwirrte
es von Leben. Es schrie und grölte und polterte und sang in einem fort. Die
Gäste unterhielten sich über die Tische hinweg, gestikulierten und vollführten
einen Lärm, dass die Oberfläche des Weins in den Bechern leicht vibrierte.
Mit einem Blick, der durch ihn
hindurchging, weit hinein in die Vergangenheit, sah Michele ihn an, bevor er
den Becher an seinen Mund hob und gierig trank. Dann schloss er die Augen.
„Mein Großvater ist an der Pest
gestorben, mein Vater ebenfalls. Wirklich gekannt habe ich beide nur aus
Erzählungen meiner Mutter oder anderen, die ihnen begegnet waren. Manchen war
es Genugtuung, mir nach dem Tod meines Vaters ein falsches Bild von ihm zu
zeichnen. Meine Mutter starb ebenfalls viel zu früh. Meine älteste Schwester war
damals noch nicht einmal im heiratsfähigen Alter.“
Auch Enrico nahm seinen Becher an
den Mund. Über den Rand des Gefäßes hinweg betrachtete er Michele, dessen
Gesicht eingefallen wirkte, schlaff, grau und welk.
„Wir tragen alle unser Schicksal
bis in den Tod hinein. Damit treten wir vor den Herrn – und er wird uns
freisprechen!“
Enrico hörte sich die Worte des
Dorfpfarrers wiederholen, der ihn aus der Gosse gezogen und zu den Brüdern
geschickt hatte. Ein umgänglicher Mensch, der sich keinen Illusionen über die
Gläubigkeit seiner Gemeindemitglieder hingegeben hatte und der es mit der
Frömmigkeit auch nicht so genau genommen hatte. Mehr als eine Frau wusch die
Wäsche eines seiner Kinder im Dorf.
„Für mich gibt es nur die
Verdammnis.“ Für einen Augenblick zögerte Michele, dann fuhr er fort. Seine
Stimme klang brüchig und trocken. „Ich habe einen Menschen getötet, Enrico.
Noch in Mailand. Ich war jung damals, sechzehn, siebzehn Jahre alt und
vielversprechend in meiner Frische.“
„Ihr meint Antonio Di Russo?“
Überrascht sah Michele auf.
„Woher ...?“
„Von Meister Peterzano. Er hat mir
Euer Geheimnis verraten.“
Michele nickte langsam und presste
die Lippen aufeinander. Enrico sah ihm an, dass Michele nachdachte, einen
Gedanken festzuhalten versuchte, der offenbar in seiner Weinseligkeit davon schwamm.
„Was hat er erzählt? Was? Die
Wahrheit? Kennt er die Wahrheit?“
Wie ein Unwetter brach es aus
Michele heraus. Im Lärm, der sie umgab, bemerkte niemand, dass Michele lauter
wurde, dass er die letzten Worte beinahe schrie.
Beschwichtigend legte Enrico ihm
eine Hand auf den Arm.
„Di Russo hielt um die Hand Eurer
Schwester an. Als ältester Sohn hattet Ihr bei einer Heirat Verpflichtungen der
Familie gegenüber.“
„Pah, nicht im Traum hat der Kerl
an eine Heirat gedacht.“ Wieder hob Michele den Becher und trank, gieriger,
heftiger als zuvor, wobei ihm die Hälfte über sein Wams lief. Aber bis hierher
hatte Enrico alles bereits kennengelernt. „Für ihn war sie nur ein Spielball.
Nie und nimmer hätte der Vater Di Russos einer Verbindung unter seinem Stand
zugestimmt. Obwohl Caterina durchaus ihren Liebreiz hatte.“
„Deshalb habt Ihr Euch mit ihm
duelliert?“
Mit wässrigen Augen musterte
Michele ihn jetzt und grinste böse.
„Deswegen? Nein, Enrico. Ich hatte
Gründe, glaubt mir, gute Gründe.“
„Die einen Tod rechtfertigten!“
Michele sprang auf und stieg dabei
seinen Krug mit der Hand um. Der Wein versickerte rasch durch die Ritzen des
Holzes.
„Dieses Schwein musste sterben – obwohl
ich ihn nicht töten wollte. Einen Denkzettel wollte ich ihm verpassen, an dem
er sein Leben lang würde zu schleppen haben. Dass ich ihn tödlich getroffen
habe, geschah aus Zufall. Bei einem Ausfallschritt lief er in meine Degenspitze,
die ihm die Schlagader am Hals durchschnitt.“
Mittlerweile war auch Enrico
aufgestanden und drängte Michele dazu, sich wieder an den Tisch zu setzen.
„Was führte zum Duell, Michele? Ich
möchte es gern verstehen!“
Der Wein verlangsamte Micheles
Denken. Er brauchte lange, um seine Gedanken zu sammeln, um seiner Geschichte
eine Reihenfolge zu geben. Gelassen betrachtete Enrico die Bemühungen Micheles,
der in den Krug starrte und dabei Grimassen zog, als könnte nur die Bewegung
der Gesichtsmuskeln seine Überlegungen auf den Sprung helfen.
„Di Russo hat meine Schwester nicht
geliebt, wie er zum Schluss hin vorgab. Er hat sie ... vergewaltigt. Sie wehrte
sich, und er tat es trotzdem. Aber er drohte mit einer Klage!“
„Er hat
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