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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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ihr Gewalt angetan?“
    Das bestätigende Nicken erfolgte
langsam, und Enrico konnte sehen, wie Michele das Wasser in die Augen stieg.
    „Wie alt war sie?“
    Er zuckte mit den Schultern und umfasste
den Becher, griff dann nach ihrem Krug am Tisch und goss sich nach, leerte den
Becher mit einem Zug, stieß auf und knallte ihn zurück auf den Tisch.
    „Vierzehn!“
    Betreten nickte Enrico. Langsam
verstand er. Vermutlich hätte er ebenso gehandelt, wenn er als
Familienoberhaupt, als ältester männlicher Angehöriger vor dieser Situation
gestanden hätte.
    „Ihr habt keinen Fehler gemacht.
Ihr habt so handeln müssen.“
    Michele schüttelte den Kopf.
    „Nein. Sein jüngerer Bruder schwor
Rache.“
    „Blutrache!“
    Michele nickte.
    „Vendetta, obwohl ich dafür gebüßt
habe. Ich ging ins Gefängnis und bezahlte den Preis nach unserem Vermögen.
Sogar ein Bild malte ich, aber die Familie wollte es nicht. Damals wusste
niemand, welchen Weg ich gehen würde. Daraufhin bin ich nach Rom geflohen.“
    „Und Eure Schwester blieb in
Mailand zurück?“
    „Ja, mit dem Kind!“
    Da begegnete es ihm wieder, dieses
Kind. Was hatte die Alte in Mailand ihm anvertraut? Ganz verstanden hatte er es
nicht, aber langsam schälte sich eine Bedeutung heraus.
    „War es das Ergebnis der ...“
    Michele antwortete zögerlich, als
wolle er sich nicht dran erinnern. Mit der Hand fuhr er sich übers Gesicht,
verscheuchte ungute Erinnerungen.
    „Ja.“
    „Wo ist es geblieben? Ich war in
Mailand bei Eurer Schwester. Von einem Kind hat sie mir nichts erzählt.“
    Micheles Zunge fuhr hastig über die
Lippen, die rau und aufgesprungen waren und leicht bluteten. Kleine weiße
Fetzen standen davon ab, mit denen er spielte.
    „Sie musste es weggeben!“
    „Weggeben?“
    Langsam hob er den Krug und trank
den Becher leer. Dann stand Michele auf. Er schwankte leicht, bekam sich aber
sofort wieder in die Gewalt.
    „Wir gehen!“
    Diesmal wollte Enrico sich nicht
abwimmeln lassen, diesmal wollte er die ganze Geschichte hören, endlich wissen,
welcher Bedrohung Michele tatsächlich ausgesetzt war. Sanft griff er ihm an den
Arm und hielt ihn zurück.
    „Erzählt, Michele!“
    Der riss sich los, und mit dem
Schwung dieser Bewegung stürzte er über den nächsten Stuhl und die halbe Bank, riss
zwei Weinbecher mit und holte sich Flüche und Verwünschungen seiner
Sitznachbarn.
    Auch Enrico sprang auf und half
Michele wieder auf die Beine. Ein Geldstück besänftigte die Geschädigten.
Enrico schlug Michele zweimal ins Gesicht, bis er wieder zu sich kam. Lange
blickten sie einander in die Augen, als wolle der eine den anderen darin
ausforschen. Aber plötzlich wich Micheles Blick ihm aus und wanderte zur Tür
der Osteria.
    Als Enricos Blick ihm folgte, sah
er auf der Türschwelle Nerina stehen, die ihnen zuwinkte.
    „Ich vergesse es nicht, Michele“,
flüsterte Enrico.
    „Ihr müsst mir eins versprechen,
Enrico“, meinte Michele, während sie sich durch die Menge hindurch zum Ausgang
drängten.
    „Das wäre?“
    „Sollte ich nicht mehr nach Rom
zurückkehren oder unterwegs sterben, kümmert Euch um Nerina!“
5.
    Eine kühle Nacht begrüßte sie, die
vom Wind, der vom Meer her wehte, mit Feuchtigkeit aufgeladen war. Michele
hielt sein Gesicht in die frische Luft, während er ebenso über das uneben
verlegte Pflaster der Hafengegend stolperte wie Enrico. Nerina hakte sich unter
und wortlos schritten sie aus, um den Hügel im Westen zu erklimmen, hinter dem
der Palazzo Cellammare lag.
    Seit Enrico Michele begleitete,
fühle sich Nerina sicherer, was Micheles Abwesenheiten anbelangte. Es gab keine
Raufereien mehr, keinen Streit. Michele schien sich beruhigt zu haben. Sein
Temperament hatte sich unter Enricos Einfluss verflacht, sein Unruhegeist war
schwächer geworden. Damit einher ging jedoch auch ein körperlicher Verfall, der
Nerina nicht verborgen blieb. Gebückt und schwach hing Michele an ihrem Arm,
und sie fragte sich, wie lange er die Strapazen noch würde durchstehen können. Das
Leben in Neapel, das Leben auf der Flucht zehrte an ihm. Die einzige Hoffnung
schien Rom zu sein. Rom war für Michele schon immer wie ein Jungbrunnen gewesen.
Sie mussten nach Rom, und das so schnell wie möglich. Nur dort wäre er sicher,
nur dort konnte sich Michele erholen.
    Ein freudiges Bellen holte sie aus
ihren Überlegungen. Aus einer der dunklen Gassen, die am Berghang begannen und
sich bis zur Stadtmauer hinaufzogen, sprang ihnen ein Hund

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