Das Vermaechtnis des Caravaggio
ist bekannt für seinen
Starrsinn und für seinen Glauben. Beides zusammen ist eine unheilvolle
Mischung, die dem Schwarzpulver in einer Kugel gleicht. Wer die Lunte zündet,
erwartet, dass sie eine Weile glüht und schließlich das Pulvermagazin erreicht.
Was dann geschieht, weiß jedes Kind.“
„Bester Kardinal, mein lieber
Scipione Borghese. Ihr glaubt, dass Caravaggio der Funke ist, der die Lunte zum
Glühen bringt?“
Solche Anreden mochte Scipione
Borghese nicht. Verärgert griff er nach seinem Glas und leerte es auf einen
Zug. Der Wein lief ihm die Mundwinkel hinab. Mittlerweile lag eine Dunkelheit
über dem Innenhof, sodass die Gesichter sich in der Dunkelheit verbargen.
Kerzen anzünden lassen wollte Scipione Borghese nicht. Die Nacht bot einen
gewissen Schutz. Zurück blieben die Stimmen, und das Ohr trennte schärfer
zwischen Wahrheit und Lüge, wenn es vom Auge nicht abgelenkt wurde.
„Julia plauderte aus ihrer Zeit bei
Kardinal Del Monte!“
Plötzlich schien die Dunkelheit zu
leuchten. Beinahe sichtbar schälte sich Ferdinando Gonzagas Neugier aus der
Schwärze. Scipione konnte nicht umhin und sich ein Lächeln auf die Lippen
zwingen, obwohl sein Gegenüber ihn nicht sah.
„Was?“
„Über die Beziehungen der Familien
Di Russo und Merisi!“
Schweigen. Nur das Zirpen einer
Heuschrecke, die im wilden Wein saß, schnitt in die Stille, die zwischen ihnen
herrschte. Die Feuchtigkeit lastete schwer.
„Wollt Ihr Euer Wissen an mich
weitergeben oder mich hinhalten, Eminenz? Schließlich ...“
„Beruhigt Euch, Kardinal Gonzaga,
Julia erzählte davon, dass sie bei Del Monte einen Brief seiner Heiligkeit
gelesen hätte, zufällig natürlich, in dem Pater Leonardus aufgefordert wurde,
der Adlata des Malers, Nerina, die Wahrheit über die Geschwister Merisi zu
erzählen – und deren Geheimnis zu lüften!“
Mit Genugtuung vernahm Scipione
Borghese, dass sein Gegenüber Luft zwischen den Zähnen hindurch blies.
„Und wie gestaltet sich die
Wahrheit?“
Scipione Borghese ließ eine Pause,
nahm sein Glas an den Mund und trank vom Wein, der trotz der lastenden Schwüle
kühl und süffig geblieben war. Dann tupfte er sich den Mund ab und ließ sich in
seinen Stuhl sinken.
„Die Wahrheit ist schmerzlich! Sie
beraubt den Menschen seines Rückhalts. Aber hört ...“
4.
„Auf mir lastet ein Fluch, Enrico!
Glaubt mir.“
Aus blutunterlaufenen Augen sah
Michele ihn an. Seine unteren Lider waren entzündet, die Wangen eingefallen,
und das Haar hing ihm fettig und strähnig ins Gesicht. Müde und alt sah er aus,
trotzdem er erst 39 Jahre zählte.
Beide saßen sie in der Osteria del
Cerriglio, einer der berühmtesten Gaststätten Neapels. Sie wurde von einem
Deutschen geführt und lag ganz unter dem Schutz der Spanier. Kein Johanniter
würde sich über die Schwelle wagen. Selbst Michele fühlte sich hier sicher,
auch deshalb, weil die Marchesa di Caravaggio sich in der Stadt erkundigt
hatte. Die Johanniter waren abgezogen, die Galeeren aus dem Hafen verschwunden.
Nur Pater Leonardus trieb sich noch in der Stadt herum. Er hatte offensichtlich
den Strand und damit Neapel erreicht.
Dichter, Artisten, Schriftsteller
bevölkerten die einfachen Bänke, saßen hier, diskutierten, stritten und
sprachen Bacchus zu. Die Wände waren von den Werken ihrer Hände und von den
Ideen berauschter Geister übersät. Viele Besucher hatten Sprüche zu Ehren des
Weingottes hinterlassen, ruhige und aufwühlende, holprige und glatte. Auch
Michele und er hatten sich verewigt, wobei er sich über Micheles Spruch
gewundert hatte:
„Wir verdrängen den Tod und
glorifizieren das Sterben. Allein im Wein erkennen wir das Leben.“
„Warum?“, hatte Enrico gefragt und
die Antwort von eben erhalten.
„Mit meinen Bildern suche ich
diesen Alpmar abzuschütteln, aber er holt mich immer wieder ein – und er wird
mich vernichten! Und jeden, der sich in meiner Nähe aufhält!“
„Dann seid Ihr abergläubisch,
Michele?“
„Ja. Warum nicht? So weit entfernt
vom wahren Glauben, den unsere Kirche predigt, ist das nicht, wie ihr denkt.“
Diese zynische Haltung erinnerte
Michele an seinen Vater, der ebenfalls den Katholizismus, seine
Heiligenverehrung und ihren Vertreter, den Dorfpfarrer, verdammt hatte, und der
doch jeden Sonntag in die Kirche marschiert war. Man kann es nie wissen,
pflegte er dabei zu sagen, und Gott verzeiht dem, der Reue zeigt – und sein
Verhalten entbehrte nicht einer gewissen Logik.
„Wer hat Euch
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