Das Vermaechtnis des Caravaggio
Besinnungslosigkeit, und während er sich nicht mehr
auf den Beinen halten konnte, gelang es ihm trotzdem, den Faltenwurf eines
Gewandes detailgenau zu malen. Sie wusste, dass er sich die allergrößte Mühe
gab, sein Versprechen zu halten, aber sie ahnte, dass er sie heimlich liebte
und mehr in ihr zu sehen versuchte als seine Schülerin, und wenn er eine dieser
verführerischen Huren vom Tiberufer als Modell zu sich ins Haus lud, rammelte
er wie ein läufiger Kater.
Langsam ging sie die Treppe
hinunter und trat auf die Straße hinaus. Ungemütlich feucht war es, ganz anders
als die letzten Tage. Schräg gegenüber sah sie noch einen Schatten in einen der
Hauseingänge zurückweichen. War das der Schatten, der ihr beständig folgte? Sie
sah genauer hin, aber dort stand niemand mehr. Vielleicht hatte sie sich einfach
nur getäuscht.
Plötzlich schlug dünn die Glocke
von der Engelsburg an. Kurz darauf fielen die Kirchenglocken ganz Roms ein, als
müssten sie eine frohe Botschaft in den Äther hinaustragen. Die Menschen
öffneten noch gähnend die Fenster und Läden oder kamen verschlafen und müde aus
den Häusern gelaufen.
Aus der Neugier entwickelte sich
bald darauf ein lebhaftes Treiben, das mit Jubel vermischt die Straße
bevölkerte. Das Konklave war zu Ende
„Habemus papam! Wir haben einen
Papst!“, lautete der Schrei, der allenthalben durch die Straßen lief und sich
wie ein Lauffeuer verbreitete. „Habemus papam!“
Wir haben wieder einen Oberhirten,
dachte Nerina, während sie direkt auf den Eingang zuging, in den hinein der
Schatten verschwunden war, ohne dass sie sich von der Volksfeststimmung um sie
her anstecken ließ. Und ich bin gespannt, was uns der neue Papst verheißt.
14.
„Wir müssen ihn vergiften!“, knurrte
Camillo Borghese.
Scipione Borghese sah sich etwas
unsicher um. Hoffentlich hatte die Dienerschaft nicht zu feine Ohren.
Schließlich bespitzelte man sich unter den Kardinälen gegenseitig, und er war
sich sicher, dass die ihnen seit Jahren treu ergebenen dienstbaren Geister im
Solde der Barberinis, Aldobrandinis oder Medicis standen.
„Oheim, nicht so laut. Eure Verärgerung
in Ehren, aber ...“
„Verärgerung? Ich bin nicht
verärgert, Scipione. Ich bin wütend wie ich es mein Leben hindurch nicht
gewesen bin. Millionen zum Teufel. Ein Medici auf dem Stuhl Petri. Die
Spanische Fraktion unter den Kardinälen wieder an der Macht. Dieser Kardinal
Madruzzo als Führer der spanischen Partei, er möge in der Hölle schmoren, hat
offen Vorschläge gemacht, wer von ihrer Seite bei der Wahl unterstützt werde!
Gewehrt hat sich das Kollegium. Baronius erhielt zwei Drittel der Stimmen und
die Spanier haben seine eigene Wahl abgelehnt. Und wie das Wahlvieh, wie die
Schafe sind sie danach auf die Seite der Spanier gewechselt. Das Ergebnis seht
Ihr ja, ein Greis, ein Wrack, aber ein Kompromiss!“
Scipione Borghese wusste nicht
recht, wie er seinem Oheim helfen sollte. Der neue Papst, Alessandro Ottaviano
de’Medici, der sich jetzt Leo XI. nannte, war offensichtlich nur eine
Zwischenlösung, bis sich die spanische Partei wieder gefestigt hatte, ein
halber Sieg sozusagen. Er war nicht mehr der Jüngste, und auch seine Gesundheit
war angeschlagen, er war ein Wrack, ein Schatten, eine Marionette für die
Wünsche aus Madrid. Aber die Ablehnung seines Oheims zeigte, dass die
italienische Fraktion nicht einig stand. Und der siebzigjährige Medici galt als
Kompromiss im Kampf der Italiener und Franzosen gegen Spanien.
„Er wird nicht alt werden, Oheim!“
Camillo Borghese schritt im
Arbeitszimmer seines Palazzos auf und ab, warf die Hände in die Luft, schnitt
Grimassen und schrie gegen die Wände, sodass die Spiegelflächen klirrten.
„Sie haben die Italiener verraten!
Sie haben sich wieder unter das spanische Joch begeben! und Ihr, Scipione, Ihr
habt auf der ganzen Linie versagt!“
Scipione Borghese senkte den Kopf.
Er wusste, worauf sein Oheim anspielte. Caravaggio hatte bislang sein Bild
nicht abgegeben. Es hatte zwar erste Wellen geschlagen, man munkelte von einem
Affront gegen die päpstliche Kirchenpolitik, Gerüchte gingen bereits um, dass
der protestantische Geist Rom zu erobern begann, die Spanier steckten die Köpfe
zusammen, der Untergang des Glaubens wurde hinter vorgehaltener Hand
vorausgesagt, aber das Bild lag nicht vor. Leer blieb der Platz in der Kapelle,
an den es gehörte. Caravaggio malte zu langsam, trieb sich zu häufig in den
Osterien des Marsfeldes herum.
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