Das Vermaechtnis des Caravaggio
zu kommen.
Sie wollte mit Enrico zusammen Michele aus der Stadt schaffen, vielleicht aufs
Land. Angekündigt hatte Enrico, ihn nach Genua schicken zu können, oder zu
Micheles Gönner, Don Marzio Colonna, nach Latium. Am nächsten Morgen wollten
sie aus der Stadt. Nervös trommelte sie mit den Fingern auf dem Tisch und schob
ihren Becher Wein auf der speckigen Bohle hin und her.
Baglione saß an einem der
Nebentische, Baglione und ein Maler, den sie nur flüchtig kannte, und dessen
Name ihr nicht einfiel, so sehr sie sich auch bemühte. Michele mochte diesen
Baglione nicht, und Baglione konnte Michele nicht ausstehen. Und während sie
sich bislang nur abschätzige Blicke zugeworfen hatten, schien es in Baglione zu
gären.
„Nun, Caravaggio, ist dir wieder
ein Bild abhandengekommen? War es schlecht gemalt?“
Nerina ließ das Trommeln mit den
Fingern. Stille breitete sich im Raum aus. Nur Michele bestellte lautstark
einen weiteren Krug Wein.
„Wirt, einen Krug für den armen
Maler Caravaggio, auf Kosten des hoch ehrenwerten Herrn Baglione.“
Baglione bemerkte die Spitze und
polterte los. Micheles Kumpane am Tisch zogen es vor, etwas abzurücken, falls
Baglione einen Krug werfen sollte.
„Will ich deinen Suff unterstützen?
Nein! Wer seinen Verstand versäuft und sein Talent dazu, der soll gefälligst
selbst bezahlen.“
„Bist du unter die Großmäuler
gegangen oder unter die Geizhälse, Baglione. Ein Krug?“
„Wofür? Damit du dich wieder
besoffen an eine Leinwand stellst und diese vollschmierst?“
„Ich male jedenfalls keine plumpen
Jesusfiguren wie du, Baglione. Dein Gemälde in der Kirche Il Gesù ist für mich
eines der schlechtesten, das ich kenne. Mir ist jedenfalls bislang kein Maler
untergekommen, der dich zu den guten Künstlern zählte.“
„Und warum sollten sie dich dazu
zählen? Weil du alle Bilder dreimal und viermal malen musst? Weil du dich zwar
mit der Wirklichkeit beschäftigst, aber eben mehr mit Hurerei und Sauferei, als
mit deinen Bildern, sodass dir nicht gelingt, was du möchtest.“
Michele stand auf und schrie
Baglione über den Tisch an. Mit jeder Armbewegung schwankte er gefährlich. Alle
seine sogenannten Freunde, die sich mit ihm verbrüderten, solange er ihren Wein
bezahlte, rückten ab, verließen den Tisch oder sogar den Raum. Nerina sah sich
um. Jeder in der kleinen Osteria verfolgte gespannt die Auseinandersetzung. An
einem Tisch wurden sogar hinter vorgehaltener Hand Wetten abgeschlossen. Jetzt
erst entdeckte Nerina eine Gestalt, die auf einer Bank saß, die direkt hinter
der Tür in eine Fensternische eingelassen war. Dort saß ein Mönch mit ins
Gesicht gezogener Kapuze und hielt völlig unbeteiligt einen Becher Wein in der
Hand. Ihr wäre die Gestalt sicher nicht aufgefallen, wenn sie nicht das Gefühl
gehabt hätte, als würde Baglione immer wieder zu ihr hin sehen, um sich von
dort Anweisungen zu holen.
„Und du hältst dir sogar einen
eigenen Schüler, nur um zumindest einen Menschen zu haben, der deine Werke
lobt, oder bist du auch für die Abendunterhaltung unter Männern zuständig,
Mao?“
Michele richtete sich an Bagliones
Nachbarn, der etwas verdutzt dreinblickte, als er sich mit in den Streit
hineingezogen sah. Jetzt erinnerte sich Nerina. Der schüchterne, etwas blässliche
Jüngling neben Baglione war Tommaso Salini, der immer gegenwärtige Schatten
Bagliones, sein Nicker und Jasager, den alle nur Mao nannten, nach der Kürze
seines Verstandes.
Giovanni Bagliones Gesicht
entfärbte sich, und mit ausgesuchtem Hass zischte er durch seine Zähne einen
Satz, aus dem Nerina alle Verletzung herausfühlte, die der Maler Michele
zufügen wollte.
„Nun, mit einem Schwesternschänder
kann ich nicht mithalten, Caravaggio. Dafür fehlt mir die Schwester. Aber du
verfügst ja über ausreichend Erfahrung darin.“
So schnell konnte Baglione nicht
ausweichen, wie Michele reagierte. Mit einem Schwung riss er einen Teller mit
Artischocken vom Tisch und schleuderte ihn Baglione an den Kopf. Dem gelang es
durch eine Reflexbewegung die Arme hochzureißen, aber Gemüse und Öl besudelten
ihn vollständig.
„Das für den Schwesternschänder!“, meinte
Michele ganz ruhig. „Ich habe keine Schwester. Ich habe überhaupt keine Familie
mehr!“, betonte er noch, dann setzte er sich. Nur seine Lippen bebten.
Baglione schüttelte die Reste von
seiner Kleidung und wischte sich das Öl aus dem Gesicht. „Hurensohn!“, fluchte
er und nahm seinen Weinkrug in die
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