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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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und Sokrates gesetzt. Überwältigend, nicht?“
    Noch konnte Scipione keinen rechten
Gedanken fassen, so sehr war er von der wundervollen Einfachheit und dem
kompositorischen Glanz dieses Freskos gefangen gehalten, aber ein Gegensatz
drängte sich ihm schon jetzt klar auf.
    „Der Raum hier ist der Wahrheit
verpflichtet“, stieß er hervor. „Vielleicht ist es deshalb Euer Arbeitszimmer.
Aber der Weg dorthin führt über die anderen Räume, über Täuschung und Lüge,
über die Legenden Konstantins.“
    „Ihr habt ein scharfes Auge,
Scipione. Deshalb habe ich Euch hierher gerufen.“
    Camillo Borghese stand auf und
schritt nervös im Raum auf und ab. Scipione konnte sich von der Schule von
Athen kaum losreißen, sodass er die anderen Fresken nur mit einem kurzen Blick
streifte: Der Parnass fiel ihm auf, die Huldigung an Dichtkunst und Musik, und
die Glorifizierung des Heiligen Sakraments, sodass hier in diesem Raum
tatsächlich mehreren Wahrheiten gehuldigt wurde, der theologischen, der
wissenschaftlichen und der künstlerischen. Ein Räuspern ließ ihn auffahren.
Sein Oheim lief auf und ab, und er bemerkte, dass dessen Schritt schleppend
wirkte, als würde er eine ungeheure Bürde tragen.
    „Ihr wisst“, begann Camillo
Borghese und zwang Scipione so, ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken, „dass die
italienische Fraktion Nachfolger benötigt, auch dann, wenn ich – zufällig – frühzeitig
sterben sollte.“
    Jetzt erwachte Scipione Borghese
aus seiner Trance, die ihn umfangen hatte, seit er die Stanzen betreten hatte.
Was wollte sein Oheim mit dieser Bemerkung erreichen? War der Medici-Papst, der
sich kaum dreier Wochen Regentschaft hatte erfreuen dürfen, nicht freiwillig
aus dem Leben geschieden? Sein Oheim hatte immer wieder angedeutet, dass man
versuchte, dem Schicksal etwas nachzuhelfen und seiner gebrechlichen Gesundheit
einen Todesstoß zu versetzen. Und mit ‘man’ war zweifellos die italienische
Fraktion gemeint gewesen.
    „Fühlt Ihr Euch bedroht, Oheim? Ihr
seht nicht gerade frisch und ausgeruht aus.“
    „Wenig Schlaf. Ein einziger Sumpf
an Intrigen ist dieser Vatikan. Man kann nicht vorsichtig genug sein und so
schnell wie möglich handeln. Darin war der letzte Papst etwas nachlässig.“
    „Was Euch zum Vorteil gereichte.“
    „Und mir Zeit genug gab, mich auf
eine solche Situation vorzubereiten. Kurz – ich muss eine Entscheidung treffen,
die auch Euch anbelangt.“
    „Mich?“
    „Ihr müsst Euch den Erfordernissen
der Familie beugen, Scipione.“
    „Ich würde gerne erfahren, worin
der Zwang besteht, der Familie zu dienen. Vielleicht übernähme ich die Aufgabe
begieriger.“
    Camillo Borghese schritt die
Fresken entlang, die seit beinahe einhundert Jahren den Raum schmückten, und
blieb vor der Schule von Athen stehen. Er legte den Kopf in den Nacken, schloss
aber, für Scipione sichtbar, die Augen.
    „Sokrates stellte sogar sein
persönliches Schicksal in den Dienst der Wahrheit und ließ sich selbst dann
nicht beirren, als ihm der Tod drohte, weil er sich dem Gesetz unterwarf und sich
nicht über ihm stehend betrachtete, da er lieber Unrecht litt, als Unrecht
tat.“
    Im Grunde ahnte Scipione, worauf
sein Oheim hinauswollte, aber er konnte ihn nicht dazu drängen, seine
Entscheidung zu beschleunigen. Schon gar nicht in diesem Raum, der geradezu das
Credo des Neuartigen sang.
    „Habt Ihr den letzten Satz als
Gleichnis für mich gedacht?“
    „Als Gleichnis und Vorbild,
Scipione!“
    Mit einem Ruck riss sich Camillo
Borghese vom Fresko los und trat auf seinen Neffen zu. Dieser erhob sich. Sein
Oheim stellte sich vor ihn hin und legte beide Hände auf seine Schultern. Die
beiden Falten, die sich von der Nase weg zu den Mundwinkeln zogen, wirkten
tiefer und dunkler, und die Barthaare an der Oberlippe und am Kinn waren weiß
geworden. Sein Oheim stand unter größter Anspannung, darin war sich Scipione
sicher.
    „Ich will das Kollegium der
Kardinäle erweitern. Und meine erste Wahl wird auf Euch fallen, Scipione. Aber
ich muss Euch zuvor fragen, weil Ihr kein Kleriker seid und ich mir eine
öffentliche Ablehnung durch Euch nicht leisten kann. Wärt Ihr einverstanden?“
    Trotzdem Scipione Borghese eben
dies erwartet hatte, trat ihm dennoch der Schweiß auf die Stirn, und plötzlich
war die Stanze, die eben noch die Weite der Wahrheit und der Tugenden geatmet
hatte, eng und stickig geworden. Sein Oheim nahm indessen das stumme Warten als
Zustimmung. Sein Gesicht glänzte vor

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