Das Vermaechtnis des Caravaggio
außergewöhnlicher Schönheit und Kraft gelungen,
Kleinodien, die sie in ihrem Glauben bestätigte, einen der ungewöhnlichsten
Menschen zu kennen, den ihre Zeit hervorgebracht hatte. Und doch fehlte ihm
etwas. Seit das Wundfieber abgeklungen war, ließ ihn die leere Leinwand
verzagen, wenn er sich davorsetzte und versuchte, mit der ihm eigenen Technik
vorzuzeichnen, indem er mit dem Pinselstiel Gravuren in den Kalk drückte. Mehr
als einmal hatte er in den letzten Tagen seine Skizzen wieder übertüncht.
Mit einem Satz sprang Nero vom Bett
und trottete zu Michele hinüber, den Schwanz zwischen den Beinen. Der Hund
stieß leise Laute aus und schlüpfte aus dem Zimmer.
Nerina versuchte zu erkennen, was
Nero beunruhigte. Aber er verschwand im angrenzenden Raum, und außer seinem
heiseren Fiepen hörte sie nichts mehr. Rasch schlug sie die Decke zurück und
setze sich auf. Sie musste nachsehen. Die kühle Meeresluft ließ sie in ihrem
dünnen Hemd frösteln. Langsam stand sie auf und trat unter die Tür. Der Raum
nebenan war leer, Michele war verschwunden. Vor der Tür saß Nero und kratzte
mit der Pfote an der Füllung.
Langsam lief sie zur Tür. Ihre
nackten Füße patschten über die Fichtenplanken. Sie ahnte, wohin Michele
geflohen war, was ihn hinausgezogen hatte. Einen Spalt weit öffnete sie und
Nero schlüpfte hinaus. Jetzt war sie ganz allein.
Sollte sie Michele suchen?
Ein Schauer überfiel sie, als würde
sie diese Szene zum zweiten Mal erleben. Damals, als sie im Wagen ihrer
Zieheltern geschlafen hatte, während diese nicht allzu weit entfernt ihre
Moritaten, stehenden Bilder und Schwänke zum Besten gaben, war sie ebenfalls
plötzlich erwacht, als der Lärm zugenommen hatte, die Stimmen schroffer und
lauter geworden waren und Flüche über den Platz gehallt hatten. Ihre Ziehmutter
hatte gefehlt, und sie hatte Panik ergriffen, weil sich das Geschrei rasch dem
Wagen genähert hatte. Überstürzt war sie aus dem Wagen geflohen und darunter geschlüpft.
Keinen Augenblick zu früh, denn eine brennende Fackel war aus der Menge in den
Aufbau aus Stoff geflogen und hatte ihn in Flammen gesetzt. Sie hörte noch
jetzt den Ruf ihres Ziehvaters über den Platz gellen und ihren Namen rufen. Dann
war sie blindlings durch die Menge gehastet, hatte um sich geschlagen, als
Hände nach ihr greifen wollten, sie verspotteten und bespuckten, und hatte sich
damals geschworen, lieber in den Flammen umzukommen als sich ein weiteres Mal
durch eine solche Menge zu wühlen, die sie hasste. Erst als ihr Ziehvater sie
in Händen gehalten hatte, hatte sie sich wieder beruhigt. Damals hatte sie
ihren Vater beständig einen Satz wiederholen hören: „Nie hätte sie uns
verziehen, nie verziehen!“
Die Diele knarrte, und als Nerina
herumfuhr, sah sie, dass Michele das Bild fortgesetzt hatte, die „Enthauptung
Johannes des Täufers“. Ein blutiger Kopf starrte sie aus leeren Augen an, die
sich gebrochen nach oben verdrehten. Im Haupt des Johannes erkannte sie
eindeutig die Züge Micheles wieder. Drei weitere Figuren assistierten, mit
feinen Linien angedeutet, die mit dem Pinselstiel in die Grundkreide gedrückt worden
waren. Salomé, die den Wunsch geäußert hatte, den Kopf des Täufers als
Belohnung für ihre Tanzdarbietung zu empfangen, ein Henkersknecht, der Johannes
den Kopf abgeschlagen hatte, und eine weitere Figur im Hintergrund, die noch so
unklar skizziert war, dass sie diese vorerst nicht deuten konnte.
Sie fröstelte beim Betrachten des
unfertigen Gemäldes. Was trieb Michele dazu, ein solches Bild zu malen? Hatte
er nicht den Auftrag bekommen, „Die sieben Werke der Barmherzigkeit“
anzufertigen?
Eines konnte sie erkennen, dass
Micheles Vorzeichnungen, so präzise und sicher im Strich sie schienen, dem
fertigen Bild nicht standhielten. Er fühlte sich seiner Konzepte nicht sicher,
und das machte ihn für sie menschlich. Ihn quälte die endgültige Form ebenso
wie sie selbst. Noch während er mit Pinsel und Farbauftrag hantierte, änderte
er. Dort fügte er eine Geste ein, hier einen Lichteinfall oder einen anderen
Ausdruck, der zur Änderung der Kopf- oder Körperhaltung führte. Seine Bilder
entwickelten sich aus Vorahnungen und groben Gedanken, unter die sich Zweifel
mischten. All das stieg in ihm auf, wie die Gasblasen in einem gärenden Wein,
ebenso prickelnd frisch und belebend.
So hatte auch sie arbeiten müssen,
wenn sie mit dem Wagen in eine Stadt gefahren kamen und die Gerüchte auf dem
Marktplatz
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