Das Vermaechtnis des Caravaggio
zerlumpten
Gestalten gierig nachsahen, dass sie sich die Lippen leckten und sicherlich
überlegten, wie sie es anstellen sollten, sich mitten am Tage einer derart
köstlichen Beute zu versichern. Julia durchschritt mit erhobenem Haupt die
Menge, ohne auf die Pfiffe und schmierigen Bemerkungen der Herumlungernden zu
achten, und steuerte zielsicher auf den Palazzo Madama zu, den römischen
Wohnsitz Kardinal Del Montes.
„Was könntet Ihr mir sagen, Julia?
Ich wollte Euch nicht kränken. Ich dachte nur, dass es doch nicht gewöhnlich
ist ...“
Unmerklich verlangsamte sie ihren
Schritt, und Enrico holte auf. Sie war wie er selbst auch außer Atem. Eine Röte
überzog Hals und Wangen, und als sie ihm antwortete, schien ihre Stimmung
merklich besser geworden zu sein.
„Seit wann steht Ihr in Scipione
Borgheses Diensten?“, versuchte er es nochmals unverfänglicher und über einen
Seitenweg.
„Seit wenigen Wochen. Aber zuvor
diente ich Camillo Borghese als Aufwärterin in der Küche.“
„Wie lange schon?“
„Ihr seid neugierig! Drei Jahre.“
Vorsichtig versuchte Enrico sich
unterzuhaken und ihren Schritt noch weiter zu verlangsamen. Ein Gefängniskarren
kam ihm zu Hilfe. Der Wagenlenker ließ die Peitsche über den Köpfen der Menge
kreisen, bevor er vor ihnen auf die Via del Salvatore einbog, und verscheuchte
so die Passanten von der Gassenmitte. Mit heiseren Schreien schuf er sich
zusätzlich Respekt und Platz. Hinter ihm, in einem nur dürftig mit Sackleinen
verhängten Wagen, stöhnten Gefangene, zerlumpte, halbtote Gestalten mit grauen
Gesichtern und blinden Augen. Der Karren drückte sie beide an die Wand der
Gasse, und Enrico konnte sich so ihres Armes versichern. Julia ließ es
geschehen.
„Wer hat Euch empfohlen, Julia?“
Sie sah ihn von der Seite her an.
Er drückte ihren Unterarm etwas, und sie musste unwillkürlich lächeln.
„Ist das ein Verhör? Ihr gehört wohl
zur päpstlichen Miliz, zu den Spitzeln, die allenthalben durch die Gassen
schleichen und dem Volk die Worte vom Mund stehlen!“
Entrüstet und künstlich verärgert
wies er jede dieser Anschuldigungen zurück, obwohl es ihn bedrückte, ihr nicht
die ganze Wahrheit offenbaren zu können.
„Nun, was ist dabei, es Euch zu
sagen? Kardinal Del Monte. Ich lebte zuvor sechs Jahre in Kardinal Del Montes
Haushalt. Dann wurde ich von ihm zu Camillo Borghese geschickt. Meiner Soßen
wegen, die der Kardinal gekostet hatte. Es sollte nur für kurz sein, jetzt sind
es drei Jahre her. Aber Ihre Eminenz, Kardinal Del Monte, plaudert noch immer
gern mit mir. Er ist ein so netter Mensch.“
Enrico glaubte, sich verhört zu
haben. Für einen kurzen Moment der Überraschung verstummte der Lärm der Gasse
und wich einer gespenstischen Stille, der alle wie gebannt lauschten, um danach
mit umso größerer Lautstärke wieder einzusetzen.
„Er persönlich?“
Entwaffnend lächelte Julia ihn an.
„Das passt nicht in Euer Bild einer
Küchenmagd, nicht? Mit unsereinem verkehren die geistlichen Herren nicht, glaubt
Ihr. Ich meine, Ihr solltet Euer Bild von uns Frauen ändern!“
Plötzlich tauchte auf Julias
Gesicht ein Zug auf, den Enrico bislang übersehen hatte: Hinter ihrer Maske aus
Gefälligkeit und Naivität verbarg sich ein scharfer und kritischer Blick. Jetzt
verstand Enrico endlich. Julia gehörte zu der Sorte von Bediensteten, die
freiwillig oder unfreiwillig deshalb in den Haushalt eines anderen
eingeschleust wurden, um diesen nach Herzenslust auszuspionieren. Sicherlich wusste
Camillo Borghese davon und hatte selbst seine eigenen Küchenmägde bei Kardinal
Del Monte und anderen Würdenträgern sitzen. Dieser seit Jahrhunderten gepflegte
Brauch diente nicht nur zur Überwachung, er diente zur Sicherheit und zur
besseren Verständigung unter den Kardinälen. Wer Bescheid wusste über seinen
Konkurrenten im Wettlauf um die ergiebigsten Pfründen Roms, konnte schneller
reagieren. Aber mit einmal wusste Enrico nicht mehr genau, wer hier wen
belauschte und wer wen aushorchte. Er beschloss, vorsichtiger zu sein.
Vor ihnen tauchte der Palazzo
Madama auf. Der überladene, mächtige Barockbau, dessen Rundfront sich in die
Straße hinein quälte, wuchs über ihnen auf.
„Hier müsst Ihr mich verlassen,
Enrico“, meinte Julia und wandte sich einer der Pforten zu, doch Enrico entließ
ihren Arm nicht.
„Sehen wir uns wieder, Julia?“
„Um mich weiter auszuhorchen?“, fragte
sie schnippisch zurück.
„Ich werde mich bessern.“
Weitere Kostenlose Bücher