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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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hatte und die er
jetzt mit Farbe unterlegte, wobei er wie immer seiner Eingebung nach spontan
änderte. Nerina sah es an den verwischten Zeichnungen seiner Schüler.
    Michele drehte sich um und grinste
Nerina an.
    „Keineswegs. Mir kam nur eine
unglaubliche Idee. Sieh dir den Bildaufbau jetzt an. Meine Werke der
Barmherzigkeit ragen in die Welt hinein, ohne Gott, ohne eine Hilfe des Glaubens,
ganz und gar verweltlicht!“
    Etwas verwundert betrachtete Nerina
zuerst Michele. Was war vorgefallen, dass er sich mit ihr über die Theorie
seiner Figurenanlagen unterhielt? Oder gab sie nur den Spiegel ab für eine
weitere Stunde Unterricht, und er erklärte ihr jetzt, was er seinen Schülern
eigentlich schon vor längerer Zeit hatte erklären wollen?
    Trotzdem wurde ihr Blick vom neuen Kopf
auf dem Bild angezogen. Über der Szene, die sich mit der Ausführung der Werke
der Barmherzigkeit beschäftigte, hatte zuvor nur ein einsamer Putto geschwebt.
Jetzt wurde die Stelle ausgefüllt von einer Muttergottes. Der Engel, welch
Ironie, war zu einem Jesusknaben verändert worden, den sie in der Hand hielt.
Sie musste bei dem Gedanken an diese Verwandlung lächeln. Ein typischer Einfall
Micheles, den allerdings niemand, der die Entstehung des Bildes nicht kannte,
nachvollziehen konnte. Soweit hätte es sich um eine durchaus legitime,
kirchentreue Darstellung gehandelt. Die Mutter Maria als Mutter Kirche thronte
über allem und regelte damit auch mit ihrer umfassenden Liebe die irdischen
Dinge als „mater misericordia“.
    Michele stand auf und trat neben
das Bild. Jetzt konnten alle seine neue Komposition in ihrem ganzen Umfang
erkennen. Aber was er sagte vernichtete in einem einzigen Augenblick alle
gläubig zu ihm erhobenen Blicke.
    „Sieh her! Zwei zusätzliche
geflügelte Engel bilden mit ihren vier Schwingen einen ungeheuren Wirbel, der
sich über die gesamte obere Bildhälfte erstreckt, der aber gleichzeitig der
Mutter Maria den Blick auf die irdischen Geschehnisse nimmt. Sie möchte gern
durch diesen Wirrwarr der Federn hindurchsehen, kann es aber nicht. Wie die
Kirche, die vor lauter Postenschacher und Geldgeschäften ihre Gläubigen aus den
Augen verloren hat. Maria kann in dieser Welt nicht wirksam werden. So werden
die Werke der Barmherzigkeit zurückgeworfen auf ihre irdischen Grundlagen. Und
ebenso ist Marias Anwesenheit den Handelnden nicht bewusst. Sie helfen sich
selbst. Es sind allesamt Liebestaten der Menschen an Menschen. Die Bruderschaft
wird die Botschaft verstehen.“
    „Oh, Michele“, entfuhr es Nerina,
„wieder ein Werk, das auf den Dachböden der Kirchen verstaubt oder in einer
privaten Sammlung verrottet. Niemand wird ein solches Gemälde der
Öffentlichkeit präsentieren wollen. Selbst die städtische Bruderschaft wird es
ablehnen müssen aus Furcht vor dem Arm der Inquisition.“
    Beschwörend hob Michele die Arme
und blickte zur Decke.
    „Wer denkt bei der Entwicklung
eines solchen Programms an die Kirche, Nerina? Ist es nicht ein kräftiger
Glaube, der die Gottheit nicht braucht, um in ihrem Namen zu wirken?“
    Nerina bemerkte, dass zwei der
Maler, die vor ihren Skizzenblöcken kauerten, sich erhoben und Malbrett, Papier
und Kohle einzupacken begannen. Offensichtlich fühlten sie sich unwohl
angesichts der Erläuterung, die Michele zu den „Sieben Werken der
Barmherzigkeit“ geliefert hatte. Nerina konnte sie verstehen. Ihr gehetzter
Gesichtsausdruck zeigte, was jeder von ihnen dachte: Ketzerei, Ketzerei,
Ketzerei. Ihnen saß als unbestimmte Furcht die Inquisition im Nacken.
Schließlich befanden sie sich auf spanischem Boden, auf der Flur der
Dominikaner, und kaum ein Tag verging, an dem nicht die Scheiterhaufen ihr
reinigendes Feuer in den Himmel schickten. Gerade die Dominikaner, und mit
ihnen der neue Jesuitenorden, besaßen ganz eigene und klare Vorstellungen vom
rechten Glauben.
    Wie Schatten verabschiedeten sich
die beiden Adepten und huschten, kaum bemerkt, zur Tür hinaus.
    Ganz in euphorischer Stimmung nahm
Michele vom Boden einen Krug Wein auf und setzte ihn an den Mund. Er leerte das
Gefäß in einem Zug. Seine Augen blickten Nerina an, und in ihnen schwamm
wässrig der Triumph über die Forderung, eine Maria in den Bildaufbau
einzufügen. Wie eine Ohrfeige klatschte die Idee ins Gesicht der Auftraggeber.
    „Damit willst du den Fremden
täuschen? Die Bruderschaft hintergehen? Sie werden dich dafür steinigen,
Michele. Neapel ist nicht Rom. Hier hast du niemanden, der dir unter

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