Das Vermaechtnis des Caravaggio
aus Rom!“
Nerina deutete mit ausgestrecktem
Arm zur Hafenmole hinüber. Die Flagge des Kirchenstaates wehte am Bug, vertraut
und doch beängstigend.
Im Halbrund des Hafenbeckens
schwammen oder lagen kleine Fischerboote mit ihren dreieckigen Latinersegeln,
die meisten aufgerollt, einige aber voller Betriebsamkeit und starr im ablandigen
Wind, daneben schaukelten die breiten Schiffskörper zweier venezianischer
Galeeren an der Hafenmole träge im Rhythmus der Wellen und das Schiff aus Rom,
das eben erst mit kräftigen Ruderschlägen die Anlegestelle erreicht hatte. Es
verbreitete Unruhe und Lärm. Ansonsten beherrschte vor allem der Wind das
Hafenbecken. Von hinten wehte er ihr Haar übers Gesicht, sodass sie dieses
beständig mit der Hand aus den Augen streifen musste. Zu den Schiffen blickte
sie hinüber. Mächtig wuchs im Westen das Castel dell’Ovo auf der Insel Borgo
Marinaro in das Meer hinein und beschützte den Hafen mit seinen gewaltigen
Kanonenbatterien, und durch eine Lücke zwischen den Schiffskörpern hindurch
reichte ihr Blick heute bis hinüber zur Küste der Sorrentiner Halbinsel und
nach Capri, das aus dem dunklen Blau des Wassers emporwuchs.
„Das Kastell, so erzählt man sich,
hat seinen Namen „Eierkastell“ vom Dichter Vergil erhalten.“ Michele stand wie
ein Schatten hinter Nerina und deutete zum Castel dell’Ovo hinüber. „Offensichtlich
war er nicht sehr von der Festigkeit der Mauern überzeugt, denn er hat sie mit
der Schale seines Frühstückeis verglichen, das in einer Karaffe eingeschlossen
sei. Mit der Zerschlagung der Karaffe würde auch die Eierschale unweigerlich
zerbrechen und die Burg zerstört werden.“
„Bislang scheint sie allen Unbilden
getrotzt zu haben“, folgerte Nerina.
„Zumindest die Spanier hat sie
überlebt. Wusstest du, dass darin der letzte Spross der Hohenstaufen, der Knabe
Konradin, gefangen gehalten wurde? Ein schicksalhafter Ort.“
Nerina hörte nur mit halbem Ohr
hin. Ihre ganze Aufmerksamkeit wurde von einer Gestalt in Anspruch genommen,
die eben das Deck des Schiffes betreten hatte, ein Mönch, ganz in Schwarz
gekleidet, die Kapuze über den Kopf gezogen, als wolle er nicht erkannt werden.
„Michele“, flüsterte Nerina und
zupfte Caravaggio am Arm. „Sieh hinüber. Erkennst du den Mönch?“
Ein Mönch betrat die Holzbohle, die
das Boot mit der Mole verband. Ein Offizier der Steuerbehörde stellte sich ihm
in den Weg, als er festen Boden unter den Füßen hatte. Sie sprachen einige
Worte miteinander, dann zog der Mönch ein Pergament aus dem Ärmel seiner Kutte
und reichte es hinüber. Dabei ließ er den Blick über die Stadt streifen, als
interessiere er sich nicht für den Inhalt des Schreibens und noch weniger für die
Wünsche des Zollmeisters. Dieser beugte sich nach längerem Studium des Siegels
wieder zu dem Mönch hinüber, reichte ihm das Papier zurück und ließ ihn
ungehindert passieren. Den Wachen, die verhindern sollten, dass ungebetene
Gäste die Stadt betraten, gab er einen Wink, den Mönch in Ruhe zu lassen. Dann
setzte sich der Pater in Bewegung und betrat Neapel.
In Nerina stieg ein merkwürdiges
Gefühl hoch. Sie glaubte an dessen Bewegungen zu erkennen, dass sie dem Mönch
schon einmal begegnet war. Ihr Zwerchfell zog sich zusammen und schmerzte für
einen Augenblick. Zurück blieb ein dumpfer Druck, der nichts Gutes zu bedeuten
hatte.
„Michele, du musst dir den Mönch
ansehen!“, drängte sie, weil Michele die Stadt selbst betrachtete, deren leicht
ansteigende Straßenzüge den Eindruck erweckten, als würde sie sich wie ein
Lebewesen aufrichten und vor dem Betrachter emporwachsen. Missmutig drehte
Michele sich um, sah kurz auf den Geistlichen, den Nerina ihm aus der Menge
heraus deutete, und schüttelte den Kopf.
„Wir kennen ihn. Aus Rom!“
„Du siehst schon überall Gespenster!“,
kanzelte er sie ab.
Aber Nerina konnte ihren Blick
nicht von dem Mönch nehmen. Der wanderte auf der Mole auf und ab, als suche er
jemanden. Plötzlich blieb er stehen, zögerte einen Moment, dann aber schien er
gefunden zu haben, wonach er ausgespäht hatte. Zielstrebig eilte er die Mole
hinauf und trat auf einen Mann zu, der an einer der Mauern lehnte, die zu den
Verteidigungsanlagen des Hafens gehörten. Sofort erkannte Nerina ihn wieder. Es
war der Johanniter, dem sie schon einmal durch die halbe Stadt gefolgt war. Ihr
Instinkt hatte sie also nicht betrogen.
Nerina wollte eben Michele wieder
am Ärmel ziehen.
„Ich sehe
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