Das Vermaechtnis des Caravaggio
es!“, murmelte er nur.
Für Nerina war es, als schrumpfe
die Welt zu einem kleinen Häufchen zusammen, das mit wenigen Schritten zu
umrunden war, und dessen Bewohner sich alle paar Minuten trafen. Sie wusste
plötzlich, dass die beiden Männer, die sich hier begegnet waren, nicht zufällig
dort standen und miteinander redeten, und sie fühlte, dass der Mönch der
unheimliche Auftraggeber des ‘Tod Mariäs’ war, der sie in Rom beständig
bedrängt hatte. An so viel Zufall glaubte sie nicht. Als hätte Michele ihre
Gedanken erraten, zog dieser sie beiseite.
„Was wollen sie hier?“
Ein Wolkenband schob sich vor die
Sonne und verdunkelte den Hafen. Plötzlich fauchte eine kühle Brise durch die
Straßenzüge der Stadt und hinaus auf die Mole. Sie bauschte die Segel, riss
geflochtene Fangkörbe mit sich und ließ Nerinas Haar wie einen Wimpel flattern.
Sie zitterte. Gänsehaut überzog ihre Arme.
„Wir sollten es herausfinden,
solange dir der Vizekönig noch gewogen ist.“
Ihr Gefühl sagte ihr, dass einer
der nächsten Wege den Mönch zum Stellvertreter ihrer Allerchristlichsten
Majestät Spaniens, Conde de Benavente, führen würde. Was dort besprochen werden
würde, ließ sich unschwer erraten. Für sie beide bedeutete es allerdings, dass
ihre Tage in Neapel gezählt waren.
Im gleichen Augenblick trat ein
Mann auf sie zu, der seiner Kleidung nach wohlhabend zu sein schien, seiner
ganzen Körperhaltung und der Stimme nach aber einen servilen Eindruck machte.
„Herr, seid Ihr der berühmte Messer
Caravaggio, Maler und Künstler aus Rom?“
Mit Unbehagen im Blick musterten
Michele und Nerina den jungen Mann, der wohl kaum mehr als siebzehn Jahre
zählte, und auf dessen Wangen sich noch keine Anzeichen eines Bartwuchses sehen
ließen.
„Und wenn ich eben jener Mann wäre?“,
konterte Michele.
Als Nerina sich wieder nach dem
Mönch und dem Johanniter umdrehte, waren die beiden bereits im Straßengewirr
Neapels verschwunden.
„Wenn Ihr eben dieser Mann wärt,
den ich suche, dann bäte Euch mein Herr in sein Kontor. Er möchte zu gerne mit
Euch reden. Dort drüben!“ Er deutete die Hafenmole entlang, hinter der sich in hohen
Häuserzeilen Handelskontore wie Perlen reihten.
„Was will Euer Herr von mir?“
„Das, werter Messer Caravaggio,
wird er Euch selbst sagen, wenn Ihr mir folgen wollt.“
„Wir danken für die Einladung“,
sagte Nerina nur, als sie sich dem Jüngling wieder zuwandte. „Zeigt uns den
Weg.“
Sie schob Michele vorwärts, der
noch zögerte, und flüsterte ihm zu: „Ich erkläre es dir später! Vermutlich ein
weiterer Auftrag, Michele, und wenn ich eben das gesehen habe, was ich glaube,
dann wird Geld in den nächsten Monaten wichtiger werden als vieles andere.“
Sie folgten dem Jüngling, der sie
durch das Gewirr der Fischer und Händler, Warenballen und Seilrollen führte. An
ihre Ohren drang das Geschrei der Anbieter, das Fluchen der Lastenträger, das
Klatschen der Wellen, die sich an der Mole brachen, das Knarren der
Schiffskörper, das Schlagen der Seile. Ein Jahrmarkt an Tönen, ein Feuerwerk an
Gerüchen und Farben, denen man sich hingeben musste, wollte man etwas von
dieser Welt erleben. Nur die Mauer zum Wasser hin störte, gab sie dem Ort doch
das Gepräge eines Kerkers mit offenem Himmel. Der Junge führte sie direkt zu
einem Gebäude, das sich etwas außerhalb der Mole mit seiner Traufenseite dem
Hafen zuwandte und im Erdgeschoss eine ganze Reihe von Kontoren beherbergte.
Als sie einen der Räume betraten,
hüllte sie eine ungewohnte Dunkelheit ein. Nerina riss die Augen auf, damit sie
sich schnell an das Fehlen der Sonne gewöhnte. Sie mochte es nicht, wenn sie
nichts sehen konnte, weil sie als Augenmensch den Lichtsinn, das Auge,
bevorzugte.
„Willkommen, Messer Caravaggio, wie
ich annehme, und seine Gehilfin, von der ich ebenfalls viel gehört habe.“
Wie aus dem Nichts traf sie die
Stimme. Noch verbarg Dunkelheit den Sprecher, aber für Nerina schälte sich
bereits ein Körper aus der Finsternis, der mit jedem Augenblick schärfere
Konturen gewann.
„Luigi, lass Tee bringen. Meine
Gäste werden durstig sein, und bei einem Tässchen lässt es sich leichter
verhandeln.“
Mit einer angedeuteten Verbeugung
verschwand der Jüngling wieder durch die Tür. Nerina hörte ihn im Befehlston
Tee bestellen.
„Bitte nehmt Platz.“ Weder Michele
noch Nerina folgten der Bitte, und deshalb änderte der Kaufmann, denn um einen
solchen handelte es sich in
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