Das Vermaechtnis des Caravaggio
Nerinas Augen offensichtlich, seine Taktik.
„Vielleicht stelle ich mich zuerst vor: Lorenzo de Franchis.“
Nerina sah zu Michele hinüber, der
nickte und weiter schwieg. Umständlich ließen sie sich nun doch auf die Kissen
nieder, die ihnen de Franchis nun zum zweiten Mal anbot. Verlegen knetete
Lorenzo de Franchis seine Hände.
„Der Tee kommt bald.“ Wieder entstand
eine Pause. „Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden“, räusperte
sich Lorenzo de Franchis. „Für die Familienkapelle in der Kirche San Domenico
Maggiore möchte meine Familie ein Bild in Auftrag geben. Da wir gehört haben, dass
einer der bedeutendsten Maler Roms in unseren Mauern weilt, haben wir
beschlossen, das Gemälde bei ihm in Auftrag zu geben.“
Woher wusste der Kaufmann, dass sie
in der Stadt waren, schoss es Nerina durch den Kopf, woher hatte er erfahren, dass
sie sich am Hafen befanden, woher kannte er ihre Namen? Ihr Blick schweifte
durch das Kontor, in dem sich Warenballen türmten, geflochtene Körbe mit
eingewickelten Früchten lagerten. Der Raum schien mit einer Vielzahl von Düften
angefüllt, die schwer und träge zwischen den Wänden hingen. Nur das
Sonnenlicht, das sich von außen herein stahl, wirkte freundlich und bekannt.
Nerina musterte die Handelszeichen auf den Stoffballen und Körben, den Amphoren
und Tongefäßen, den Säcken und Bündeln. Fremdartig wirkten sie, wie
Hieroglyphen einer anderen Zeit, wie eine fremde Sprache, die nur verstand, wer
sich mit der Materie des Handels auskannte.
Mitten in diesem Handelsalphabet
stach ihr plötzlich eines der Zeichen auf einer Amphore ins Auge, ein Kreuz mit
zweigezackten Enden: das Kreuz der Johanniter.
Plötzlich schlug der Jüngling den
Teppich zurück, der den Eingang verdeckte. Ein kräftiger Lichtbalken stach
durch den Raum. Nerina schloss kurz die Augen. Tassen klirrten, der Tee wurde
gebracht. Jedem drückte der Jüngling eine Porzellantasse in die Hand, stellte
Honig auf ein Tischchen und verließ den Raum wieder.
„Wenn ich den Auftrag für ein
Gemälde annehme, dann nur ein bestimmtes Thema, Signore. Ich male nur
Märtyrerbilder. Sie entsprechen meiner derzeitigen Stimmungslage.“
Micheles Stimme riss Nerina aus
ihren Gedanken. Was sollte das? Märtyrerbilder! Wollte er den Auftrag nicht?
„Das trifft sich gut, Messer
Caravaggio. Uns schwebte eine Geißelung Christi vor.“
Michele zog die Nase auf, als missbillige
er diese Form der Auslegung, dabei schien es Nerina, als würde eben dieses
Thema seinen momentanen Zustand durchaus beschreiben, besser als jede andere
Szene religiösen Inhalts. Vor ihrem geistigen Auge sah sie bereits die
Martersäule, an der halbnackt der Körper Christus’ gefesselt hing und von
seinen Peinigern grausam misshandelt wurde. Niemand in dieser Zeit wäre besser
in der Lage gewesen, die verletzte Würde des göttlichen Körpers derart mit dem
menschlichen Schmerz zu verbinden als Michele. Ihr schauderte, als sie daran
dachte.
„Dreihundert Scudi“, warf Michele
mit einer Stimme in den Raum, die Nerina sein Desinteresse an einem neuen
Auftrag zeigte. Gerade deshalb besaß sie eine große Eindringlichkeit.
„Dreihundert Scudi?“ Nerina hörte,
wie der Kaufmann schluckte.
„Die erste Hälfte sofort, die
zweite nach Erledigung des Auftrags, wenn das Bild übergeben wird. Dabei ist es
unerheblich, ob das Gemälde gefällt oder nicht. Ich lasse mir nicht in die
Gestaltung hineinreden. Ihr akzeptiert die Lösung, die ich Euch anbiete. Dafür
stehe ich für eine saubere und schnelle Ausführung mit den besten Materialien.
Nehmt an oder lehnt ab.“
„Gut“, entschied der Kaufmann nach
einigem Zögern. „Wenn Ihr sofort mit der Arbeit beginnt!“
10.
Nur langsam schob sich der Mond an
den sternklaren Himmel und warf sein Licht wie eine Laterne in die Gassen Roms.
Enrico lehnte an der Wand eines Hauses und wartete. Mit Einbruch der Dunkelheit
hatte ihm Julia ein Treffen versprochen, war aber bislang nicht erschienen. Ihm
war, als sende die beinahe volle Scheibe des Gestirns eisiges Licht hinab zur
Erde. Ihn fröstelte. Mit Herzklopfen dachte er an Nerina, die sich irgendwo in
Neapel befand und der er nicht nachreisen konnte, solange er nicht wusste, was
im Hause Del Montes geschehen war. Ferdinando Gonzaga, dem er von seiner
Begegnung mit Julia geschrieben hatte, hatte ihm eingeschärft, in Erfahrung zu
bringen, was sich dort ereignet hatte. Nur so könne er sich einen Vorteil
verschaffen und seinem
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