Das Vermaechtnis des Caravaggio
Ziel näher kommen, Kardinal zu werden.
Wenn er erst wusste, wie die Dinge
zusammenhingen, welche Rolle Del Monte in dieser Geschichte spielte, dann
konnte er Nerina nach Neapel folgen. Bis dahin wagte er es nicht einmal, ihr
einen Brief zu schicken, damit der Aufenthaltsort Caravaggios nicht durch seine
Unachtsamkeit verraten wurde.
Nervös sah er hinüber zum
Dienstboteneingang des Palazzo Borghese, ob dieser sich nicht öffnete, und er
zuckte zusammen, als eine glockenhelle Stimme ihn von hinten ansprach.
„Wartet Ihr schon lange?“
Enrico fuhr herum. Julia stand vor
ihm und strahlte ihn an, soweit er dies im Dämmerlicht des sinkenden Tages
erkennen konnte.
„Was soll ich sagen? Dass ich Euch
ungeduldig erwartet habe? Natürlich. Dass Ihr mich habt warten lassen? Nein,
denn eine solche Schönheit lässt nicht warten, sondern wird erwartet.“
Mit einer Hand fuhr sich Julia an
den Mund und unterdrückte ein kindliches Glucksen. Im kalten Mondlicht schien
ihr Lächeln zu leuchten. Dann stieg wieder dieses Klingeln auf, das ihr Lachen
verzauberte.
„Ihr seid ein Schmeichler. Ich
sollte mich vorsehen.“
„Wo kommt Ihr her? Ich habe Euch
vom Boteneingang aus erwartete.“
Julia legte eine Hand auf seinen
Mund.
„Von überall und nirgends“,
flüsterte sie, hakte sich bei ihm unter und zog ihn mit sich, fort vom Palazzo
und hinein in die Gassen und Gässchen der Altstadt, die noch bevölkert waren
von den unterschiedlichsten Nachtschwärmern. Die ersten Wirte hängten Laternen
mit Kerzen vor ihre Osterias und stellten Talglichter auf die kleinen Tische
davor. Ein Geruch von Wein und Fisch lag in der Luft, und die Geräusche der
Nacht schnitten in die Dunkelheit. In einer der Gassen blieb Julia stehen und
deutete ihm an, zu lauschen. Das leise Stöhnen eines Liebesspiels, das
Knirschen von Ledersohlen, die über die sandige Straße huschten, Geflüster,
Gelächter von fern, ein Husten, intensiv und lang dauernd, das Schlagen einer
Peitschte und immer wieder der feine Ton von Glocken, die in den unzähligen
Klöstern zu irgendeinem Gebet riefen, drangen an sein Ohr.
„Die Melodie der Stadt, ihr
Sirenengesang, dem man sich nicht mehr entziehen kann, wenn man ihn einmal
vernommen hat“, flüsterte sie und zog ihn weiter.
Schließlich erreichten sie eine
Straße, vollgestellt an einer Seite mit den Stühlen und Tischen kleiner
Osterias.
„Setzen wir uns und trinken ein
Glas?“, fragte Enrico, dem langsam der Magen knurrte.
„Haltet Ihr mich für eine solche?“,
fragte Julia mit einem verärgerten Ton in der Stimme. „Nein. Lasst uns
spazieren gehen und uns unterhalten.“
Enrico fügte sich. So gingen sie
weiter durch die Gassen, die mal mehr, mal weniger beleuchtet waren. Er wusste
nicht, wie er das Gespräch über Michele beginnen sollte, er wusste auch nicht,
wie er es in die Richtung lenken sollte, die ihm vorschwebte. Enrico
zermarterte sich den Kopf und hätte darüber beinahe überhört, dass Julia eben
dort mit ihrem Gespräch ansetzte, wo sie vor einigen Tagen aufgehört hatten.
„Ihr habt so verstört reagiert, als
ich Euch erzählte, dass Caravaggio einen Bruder hatte. Wusstet Ihr das nicht?“
Mit einem Hustenanfall musste er
verbergen, dass er zu überrascht war, um darauf sofort die passende Antwort zu
finden. Natürlich wusste er davon, schließlich hatte er deshalb kurz Mailand
besucht, aber durfte er Julia die Wahrheit sagen? Er hasste dieses Balancieren
zwischen Lüge und Wahrheit.
„Nie hat Michele, ich meine
Caravaggio, etwas davon erwähnt.“
Laut lachte Julia auf, als hätte er
einen guten Witz erzählt, und Enrico glaubte am Vibrieren ihres Lachens zu
hören, dass sie keinen Verdacht schöpfte.
„Das wundert mich nicht. Ich glaube
nicht, dass die beiden sich besonders gemocht haben. Es muss wohl einmal einen
Streit gegeben haben um das Erbe der Eltern, und der jüngere Bruder, Giovan
Battista, hat dabei wohl den Kürzeren gezogen.“
Soweit informiert war Enrico auch.
Aber wie konnte er das Mädchen dazu bewegen, mehr zu erzählen?
„Das geschah sicherlich vor seiner
Zeit in Rom.“
„Natürlich“, bestätigte Julia,
„erst mit dem Geld der Erbschaft machte sich Michele nach Rom auf, um Maler zu
werden.“
„Hat Kardinal Del Monte Caravaggio
nicht erstmals in die Reihe der besten Maler Roms aufgenommen? Ein Verdienst
dieses kunstsinnigen Mannes.“
Wieder perlte ihr Lachen in die
Schwärze der Straße hinein und mischte sich mit den Geräuschen der
Weitere Kostenlose Bücher