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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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technischen Maßen redet, oder dem Geschichtenerzähler
am Hafen?“
    Verlegen sah der Angesprochene zu
Boden. Nerina entdeckte, dass nicht nur die Ohren über und über rot anliefen,
sondern auch sein Gesicht, und selbst am Hals bildeten sich ebensolche Flecken.
    „Dem Erzähler!“
    „Und warum, Battistello? Warum
nur?“
    „Weil er mich fesselt. Ich trete in
seine Welt ein ...“
    Michele blieb stehen, streckte den
Arm wie einen Malerstab nach Battistello aus und ließ den anderen über die
Anwesenden wegstreichen, was der Szene in Nerinas Augen einen übertrieben theatralischen
Ausdruck verlieh.
    „Genau! Er fesselt dich. Eben das
müssen wir auch mit unseren Bildern erreichen. Der von der Arbeit Ermüdete, die
Trauernden, die Hoffnung oder Tröstung suchen, sie alle sollen nicht mit
starren Szenen abgespeist werden, auf die es sich nicht lohnt, einen Blick zu
richten, weil Hunderte von Malern seit hundert Jahren dieselben Ideen in
dieselben Gefäße gegossen haben. Langweilig, nervtötend, veraltet! Vielmehr
müssen sie beim ersten Blick das sehen, was sie erwarten: Christus, einen
Heiligen, Maria. Sobald sie aber einen ersten Blick auf das Gemälde geworfen
haben, unsere Betrachter, ob Edelmann oder Bettler, müssen sie stutzen. Wie
eine Sage mit ungewöhnlicher Handlung muss die Wendung der bekannten Geschichte
sie in den Bann schlagen, ihre Blicke müssen regelrecht stolpern, und ihr Blick
muss langsam über die Szenen wandern.“
    Immer leiser, immer eindringlicher
hatte Michele gesprochen. Totenstille herrschte im Atelier, und Nerina musste
grinsen über die Art, wie Michele selbst ausgebildete Künstler in den Bann zu
ziehen vermochte. Seine Locken fielen ihm wirr in die Stirn, sein Blick, den er
unter den Lidern hervorstechen ließ, erschütterte die Maler, die offenbar
nichts von Micheles Erschöpfung bemerkten. Selbst Nero duckte sich unter der
Stimmung, die sich ausbreitete. Plötzlich richtete sich Michele zu seiner
ganzen Größe auf, trat an die Staffelei eines seiner Schüler und riss dessen
Zeichnung von der Unterlage herunter.
    „Gerade deshalb erscheint mir das
Gekleckse aus deiner Feder nicht im Mindesten würdig, sich in diesem Atelier zu
verbreiten. Die einzige Reaktion, die mir sofort gekommen wäre, hättest du
diese Skizze weiterverfolgt, wäre ein Erbrechen gewesen. Vielleicht hätte es
das Gemälde aufgewertet.“
    Alles lachte, aber es klang in
Nerinas Ohren bitter. Keiner bestand in Micheles Augen. An allen Arbeiten hatte
er etwas auszusetzen. Hier wurde keine Geschichte erzählt, dort fehlte die
richtige Stellung zum einfallenden Licht, bei diesem befand er die malerische
Lösung für zu dilettantisch, bei jenem überzeugte die Farbwahl, bei einem
andern der Ansatz des Pinsels nicht. Michele kannte keine Gnade, und trotzdem
hingen sie an seinen Lippen.
    „Ihr müsst mit dem Licht
modellieren wie mit Lehm. Erst das beleuchtete Knie, der Oberschenkel, die
Hände, die aus einem Ärmel ragen und von unbestimmter Helligkeit getroffen
werden, oder Kleidungsstücke, die ins Licht gerückt sind, geben dem Bild Leben.
Und dieses Leben lasst ihr aufscheinen. Denkt daran, dass es einen Unterschied
gibt zwischen irdischer und jenseitiger Existenz, und denkt vor allem daran, dass
dieser Unterschied mit Eurem Pinsel bewerkstelligt wird. Warum soll ich einen
Hieronymus verklären, wenn er ein Mensch war? Warum soll ich Christus in eine
überirdische Aura hüllen, wenn ich weiß, dass er für mich auf Erden gelebt
hat?“
    Michele ereiferte sich. Auf seiner
Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Winselnd stahl sich Nero zu ihr hin und
vergrub seine Schnauze in ihren Schoß. Selbst dem Hund gefielen diese Ausbrüche
seines Herrn nicht, und er reagierte verstört. Sie kraulte ihm den Kopf und
sprach beruhigend auf ihn ein.
    Die Antwort auf seine Frage schien
Michele nicht zu interessieren. Mit dem Rücken lehnte er an den halb
zugezogenen Fensterläden und hielt die Augen geschlossen. Der Schweiß auf
seinen Schläfen feuchtete bereits das Haar und perlte über Schläfen und Wangen
ab. Es sah aus, als habe er sich eben erst einen Schwall Wasser ins Gesicht
geschüttet, dabei wirkte sein Gesicht fahl und schlaff.  Zwei seiner Schüler
packten Staffelei und Papier zusammen und verließen grußlos das Atelier,
Michele beachtete sie nicht.
    Nerina, die sich Sorgen machte,
packte Nero am Hals und schickte ihn zu Michele. Der Hund trotte widerwillig zu
seinem Herrn hinüber, den Schwanz demütig

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