Das Vermaechtnis des Caravaggio
geschützt hatte, und dazu gehörte das Schließen der
Atelierläden. Wer etwas im Raum sehen wollte, musste diese öffnen. Fieberhaft
versuchte sie sich an einleuchtenden Erklärungen. War Michele zurück? Niemals
wäre ihm eingefallen, die Läden zu öffnen, selbst wenn er zu malen begonnen
hatte. Michele liebte Kerzenlicht. Nerina verlangsamte ihren Schritt und
starrte zu dem einen offenen Laden empor. Jemand stand im Atelier! Die
Erkenntnis überflutete sie regelrecht und trieb ihr Schweißtropfen auf die
Oberlippe.
„Mädchen, was ist?“
Nerina schrak aus ihren Gedanken
auf. Cesare betrachtete sie aufmerksam, der Schnitzer aus dem kleinen,
fensterlosen Loch gegenüber ihrem Hauseingang, das er sein Geschäft nannte.
„Cesare, ist jemand ins Haus
gegangen, während ich weg war? Michele vielleicht?“
„Michele? Nein, der sitzt in der
Osteria del Cerriglio und trinkt. Sonst habe ich niemanden gesehen!“
„Niemanden gesehen?“, mischte sich
Francesco ein, ebenfalls Schnitzer, der direkt daneben saß und mit einem Beitel
auf ein Stück Pinie einschlug, dass die Späne flogen. „Erzähl ihr ruhig, dass
du dem Herrn gesagt hast, wo der Maler Caravaggio wohnt. Erkundigt hat er sich,
Nerina. Er hat meinem Hurensohn von Bruder ein Geldstück gegeben, sodass ihm
ganz schweißnass geworden ist im Hemd!“
„Lügner, nicht einen Scudo habe ich
angenommen – und dessen Zunge soll verdorren, der etwas anderes behauptet!“
„Dann müsste sie dir längst
abfallen, Cesare, und du könntest nur noch stammeln!“
Wäre es ihr nicht zu ernst gewesen,
hätte sie gelacht. Den ganzen Tag brachten die beiden Streithähne damit zu,
einander zu korrigieren und sich gegenseitig der Unwahrheit und Lüge zu
bezichtigen. Und doch trennten sie sich nie. Sogar zur nächsten Osteria gingen
sie gemeinsam, natürlich im heftigsten Wortwechsel, und während der eine einen
kühlen Weißen bestellte, trank der andere einen temperierten Rotwein, nicht
ohne über die Vorzüge und Nachteile beider Arten des Genusses mit Worten zu
fechten, wobei der eine den anderen einen Dummkopf, Habenichts und Lügner ohne
Geschmack schalt.
„Wie sah er aus?“, fuhr sie Cesare
an, der betreten schwieg.
„Nerina! Ein Rotschopf war’s, ich
schwöre es, wenn auch dieser Schwindelpriester sein Mundwerk nicht aufbringt!“
Sie wusste im Moment nicht ganz
genau warum, aber ein Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer Brust.
Vorsichtig hob sie ihren Korb auf und trat auf den Eingang zu. Kaum hatte sie
die Tür zurückgeschoben und sich an das Dämmerlicht gewöhnt, sah sie, dass ein
Mann vor ihr stand, mindestens einen halben Kopf größer, mit festen Schultern
und feuerroten Haaren.
Ein leiser Ruf des Erschreckens
entwand sich ihrer Kehle, aber der Fremde sprach sofort beruhigend auf sie ein.
„Entschuldigt mein Erscheinen, aber
ich hatte nicht erwartet, dass Ihr in den Flur tretet.“
Nerina fasste sich sofort wieder.
„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?“
Der Fremde verbeugte sich. Erst
jetzt erkannte Nerina, dass er einen Priesterrock trug, dazu einen weiten,
bräunlichen Umgang, der mit einem ledernen Band zusammengehalten wurde. Die
Hände versteckte er unter bauschenden Ärmeln, und um seinen Hals hing ein
Kreuz. Nerina erinnerte er fatal an den Mönch, der Michele den Auftrag zum ‘Tod
Mariäs’ erteilt hatte. Nur die Kapuze, die jetzt über seinen Rücken fiel,
fehlte auf dem Kopf. Ohne Zweifel stand ihr der Mann gegenüber, den sie am
Hafen zusammen mit dem Johanniter gesehen hatte. In seinem Gesicht wollte sie
eine gewisse Ähnlichkeit mit Michele erkennen, verwarf aber den Gedanken sofort
wieder. Woher sollte die kommen? Sie wich zurück, stolperte aber. Überraschend
schnell griff der Mönch zu und hielt sie fest. Dabei kam er ihr mit dem Kopf
nahe. Sie roch seinen Atem und sah braune, ruinenhafte Zähne in seinem Mund,
als er mit seiner Vorstellung fortfuhr.
„Verzeiht abermals, dass ich mich
nicht vorgestellt habe. Ich bin Pater Leonardus. Im Auftrag meines Herrn, des
Kardinals Scipione Borghese, suche ich Michele Merisi, genannt Caravaggio. Der
Bildschnitzer draußen sagte mir, dass er hier wohne.“
Misstrauen schlich sich in Nerinas
Kopf. Sie bedankte sich hastig für die Hilfe und versuchte, seine Hand
abzuschütteln, die sich wie eine Zwinge um ihren Oberarm gelegt hatte. Nur
zögerlich ließ der Pater los.
„Nun, habt Ihr ihn gefunden?“
„Leider noch nicht, aber ich war
eben erst auf dem Weg hinauf.“
In
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