Das Vermaechtnis des Caravaggio
Arbeitszimmer
Kardinal Del Montes gerufen wurde. Zuvor hatte der Kardinal sich mit einem
Priester unterhalten, dessen Wuchs gefällig war und dessen Gesicht einen
Liebreiz ausstrahlte, dass bereits die Ankleidemädchen von ihm schwärmten, weil
er seit einigen Tagen schon im Haus des Kardinals wohnte. Ich stellte die
Platten ab und entfernte mich, musste aber auf einen Wink des Kardinals hin
bleiben. So wurde ich Zeuge, wie der Bruder den Bruder verleugnete!“
„Der Priester verleugnete seinen
eigenen Bruder?“
„Nein, Enrico“, meinte Julia und
trat einen Schritt näher. Wieder wurde Enrico von der Wärme Julias überwältigt
und konnte ihrer Erzählung kaum mehr folgen. Mit all seiner Kraft versuchte er,
sich ihrem Bann zu entziehen. Er dachte an Nerina und an ihre schwarzen Haare
und glaubte so, sich konzentrieren zu können. „Caravaggio leugnete mehrmals,
einen leiblichen Bruder zu haben. Dabei ähnelten sich die Brüder im Gesicht
derart, dass ein Zweifel ausgeschlossen war. Als der Prete Rosso Caravaggio
versöhnlich in den Arm nehmen wollte, verweigerte er sich einer Umarmung.
Zuerst segnete der Priester Caravaggio, wünschte ihm Erfolg und Einsicht, aber
als Caravaggio auf die Wünsche spuckte, verlor sein Bruder offensichtlich die
Geduld und fluchte ihm.“
Enrico fühlte, wie ihm die Knie
zitterten.
„Warum durfte der Bruder ihn nicht
umarmen?“
„Es sind Unberührbare. Versteht
Ihr?“
Nein, er verstand nicht, aber das
spielte im Augenblick keine Rolle. Am liebsten hätte er Julias Ausführungen vorwärtsgetrieben,
hätte an einem Rad gedreht oder an einem Strick gezogen, wenn ein solcher den
Fortgang beschleunigt hätte.
„Erzählt“, drängte er sie. „Erzählt
mir, was dem Priester herausgerutscht war!“
Julia blieb stumm.
„Bitte!“
„Dass dich der Zorn des Ritters
nicht einholt, Bruder! Das sagte er.“
Körperlich fühlte Enrico den Widerstand,
den sie ihm bot, und er wusste, dass er ihr heute nichts mehr entlocken konnte.
Ihre Wärme zog ihn an, ihr Atem, der sein Gesicht streifte, forderte ihn auf,
diesen Mund endlich zu küssen. Enrico schloss die Augen und presste seine
Lippen zu einem Strich zusammen. Trotzdem konnte er nicht anders, als laut zu
denken.
„Was bedeutet das, „der Zorn des
Ritters“?“
Julia versteinerte und zuckte mit
den Schultern.
11.
Nero jaulte auf, als Michele hörbar
die Staffeleien abschritt und ein Blatt nach dem andern von den Unterlagen riss
und zerknüllte. Manche der Älteren stöhnten, als sie sich der malerischen
Früchte eines ganzen Vormittags beraubt sahen. Nerina stand von ihrem Bild im
Nebenzimmer auf und spähte durch die Tür. Sie sah, wie sich Michele dicht gefolgt
von Nero durch die Reihen schlängelte und jedes zerknüllte Blatt hinter sich
warf, wo es von Nero spielerisch aufgefangen und mit heftigem Kopfschütteln
völlig zwischen den Zähnen zerfetzt wurde.
„Reißt Eure Gedanken endlich aus
den verordneten Bahnen und beschreitet Wege abseits der üblichen Trampelpfade,
auch wenn die Macchia Euch die Beine zersticht. Seid ihr die Schafe, die sich
zu Gruppen treiben lassen, oder seid Ihr die Hütehunde, die sich jeden
Augenblick etwas Neues ausdenken müssen, damit ihnen die Herde nicht ausbricht?
Entscheidet Euch. Aber wenn ihr Schafe sein wollt, dann verschwindet!“
Geste und Stimme wirkten müde. Sein
ganzer Aufzug glich eher dem eines Bettlers, als dem eines erfolgreichen
Künstlers. Abgerissen, unrasiert und ungekämmt stand er vor ihnen, obwohl er
sonst vor Eitelkeit strotzte. Michele konnte sich nicht mehr in dem Maße
ereifern wie noch vor Wochen. Nicht dass seine Begeisterung und Freude über die
regelmäßige Gruppe von Interessierten nachgelassen hätte, schließlich bezahlten
sie ihre Sitzungen und konnten von ihm etwas erwarten, Nerina glaubte, langsam die
Erschöpfung der Arbeit darin zu erkennen. Michele malte an vier Bildern
gleichzeitig. Häufig ging er von Bild zu Bild, damit er nicht warten musste,
bis eine Farbschicht aufgetrocknet war. Im Licht der Kerzen durchwachte er
ganze Nächte, um seine Verpflichtungen einzuhalten. Sie erkannte ihn nicht
wieder. Das Bild „Die Sieben Werke der Barmherzigkeit“, das jetzt ihr halbes
Zimmer ausfüllte, benötigte nur noch den Firnis, und auch dem ‘Haupt des
Johannes’ fehlten nur einige wenige Pinselkorrekturen.
„Wer verbietet uns, auf
Altarbildern Geschichten zu erzählen? Battistello, wem hörst du lieber zu, dem
Baumeister Angiello, der von
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