Das Vermaechtnis des Caravaggio
verschafft,
damit er neue Ideen ausbilden konnte. Er hat alles mit Begierde aufgenommen,
hat wie ein Kind, das die Brust der Mutter begehrt, diese Dinge in sich
aufgesogen und verdaut. Perspektive, Schattenwurf, Ratio beim Aufbau der
Bilder, all das erfasste dieser Wilde aus dem Norden wie andere einen Schluck
Wein trinken, im Vorübergehen, beim abendlichen Spiel. Ich bot ihm den
Nährboden, er schlug Wurzeln.“
Auch in Enrico drangen die Worte
des Kardinals ein, als würden sie durch Wasser fallen und langsam absinken. Er
hatte eine Art zu erzählen, die fesselte. Und doch stimmte etwas nicht. Das
Mitteilungsbedürfnis Francesco Del Montes stand ganz im Gegensatz zu den
sonstigen Erfahrungen, die Enrico gemacht hatte. Kam das Gespräch auf
Caravaggio, sah man weg. Niemand wollte seit dem Mord auf dem Marsfeld auch nur
mit dem Namen in Berührung kommen.
„Kommt mit, ich zeige Euch sein
erstes wirkliches Kunstwerk.“
Ohne darauf zu achten, ob er ihm
nachfolgte, durchschritt Del Monte den Raum, und Enrico, verwirrt davon, dass
der Kardinal ihn einfach stehen ließ, hastete hinter ihm her. Beinahe eilig
durchquerte der Kardinal eine Reihe von Sälen, die mit Marmor und seidenen
Tapeten ausgestaltet waren. An den Decken prangten Fresken mit Themen aus der
griechischen Mythologie. Die Wände bedeckten Porträts, Landschaften und Stillleben
auf Leinwand in schweren, wuchtigen Rahmen. Enrico fand kaum Zeit, sich die
Bilder zu betrachten, bis der Kardinal und er in einen abgedunkelten Raum
mündeten, der eindeutig niemand anderem gewidmet war als Michelangelo Merisi.
Überall entdeckte er die Handschrift des Malers aus Caravaggio. Eigenhändig schob
der Kardinal einen schweren Damastvorhang beiseite und Licht flutete in einer
ungestümen Kaskade herein. Mit einer ausladenden Geste deutete Del Monte auf
eines der Bilder, die an der Stirnwand hingen. Noch nie hatte Enrico dieses
Gemälde gesehen, und doch wusste er sofort, dass es aus Micheles Pinsel
stammte. Eine Wahrsagerin las einem jungen Galan aus der Hand. Nein, nicht aus
der Hand, sie las in seinen Augen, ohne die Hand, die sie mit einer zarten
Geste berührte, streichelte, eines Blickes zu würdigen. Zwischen den beiden lag
eine Spannung, wie sie nur Michele aufbauen konnte, erotisch, kokett, fordernd.
Dabei leuchtete ein Lichteinfall das Gesicht des Galans aus, sodass es offen
dalag, damit die Helligkeit die Gefühle des Jünglings gänzlich bloßlegte und
dem Betrachter ironisch mitteilte, dass die forsche Haltung, mit der er den
linken Arm in die Hüfte stützte und in der Nähe des Degenknaufs hielt, eher
Unsicherheit verbarg als Mut offenbarte.
„Stammt das Bild aus dem Besitz
d’Arpinos?“
Wieder lachte der Kardinal verhalten.
„Ich habe es selbst in Auftrag
gegeben. Und es ist nicht das einzige. Ist Euch aufgefallen, dass die
Zigeunerin dem Burschen den Ring abzieht? Sie betrügt ihn, während sie ihn mit
verliebten Augen betrachtet.“
Verblüfft über diese Deutung beugte
sich Enrico nach vorne, um die Hände der beiden genauer zu betrachten.
Tatsächlich streifte ihm das Mädchen den Ring vom Finger. Liebe und Betrug
schließen einander nicht aus, dachte er sich, und fühlte plötzlich, dass er
einem ganz entscheidenden Hinweis auf der Spur war. Caravaggios Verhältnis zur
Liebe zeugte von eigenartigen Vorstellungen. Hier wurde angedeutet, wie brüchig
die Beziehungen zwischen den Geschlechtern geworden waren. Vertrauen wurde missbraucht,
Gefühle wurden verkauft. Ein höchst aufschlussreiches Bild, in dem sich das
Lächeln der Zigeunerin zu einem maliziösen Grinsen veränderte, wenn man die
Wahrheit der Geste entdeckte. Die Zukunft musste düster aussehen, wenn sie mit
Missdeutungen begann!
„Mein Herr lässt fragen, ob Gemälde
des Malers wohlfeil seien. Verzeiht, Eminenz, wenn ich so direkt bin, aber
meine Mission erfordert eine gewisse forsche Vorgehensweise und duldet keinen
Aufschub.“
Sie schritten die Bilder ab, die an
den Wänden hingen: eine Rast auf der Flucht nach Ägypten, ein Blumenstillleben,
ein Bacchus sowie ein Lautenspieler, der vor einer Reihe Instrumente saß, die
allerdings Mängel aufwiesen. So fehlten einer Geige beispielsweise die Saiten.
„Der Weg zur Kardinalswürde ist
steinig, werter Enrico. Ich werde keines dieser Bilder verkaufen. Ich schätze
ihren Wert nicht nur, ich kenne ihn auch, selbst wenn so mancher den Maler
lieber tot als lebend sehen will.“
Rasch blickte Enrico dem Kardinal
ins Gesicht. Aller
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