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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Wachtrupp auf Streife kam um die Ecke marschiert. Fünf Männer insgesamt, vier davon mit Hellebarden. Ihr Anführer zog sofort sein Schwert, als er sie erblickte.
    »Halt!«, befahl er. »Wer ist da, und was transportiert ihr?«
    »Lieber Gott!«, rief Gua Li aus. »Meine Gebete sind erhört worden.«
    »Für Gebete ist es zu spät oder zu früh, Weib«, fuhr der Anführer sie an. »Ich verwette zehn Denar, dass in diesem Teppich ein Mörder versteckt ist. Los! Ausrollen!«
    »Ihr seid ein Hellseher!«, entfuhr es Gua Li. »Und Ihr habt recht. Bitte, meine Freunde, zeigt dem Kapitän den Kadaver.«
    Britonio und Osman sahen einander beunruhigt an: Vielleicht hatte der Schock Gua Lis Geist vernebelt. Beide wussten, dass selbst die Tapfersten im Angesicht großer Angst zu Feiglingen werden konnten. Doch wie auch immer – nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Teppich auf den Boden zu legen und ihn aufzurollen. Zum Vorschein kam ein Körper, der in blutigen Verbänden steckte. Der Hauptmann machte einen Satz nach hinten.
    »Was ist das?«
    »Das, was Ihr sagtet.« Gua Li näherte sich ihm, und der Hauptmann wich zurück. »Es ist ein Toter. Dahingestreckt von der Lepra. Ich bitte Euch: Helft uns, ihn diese steilen Stufen nach oben zu tragen. Der Herr wird Euch für Eure Mühen entlohnen.«
    »Weiche von mir, Weib! Und auch ihr zwei, mit diesem Aussätzigen!«, rief der Hauptmann. Um sich zu schützen, kreuzten seine Männer instinktiv die Hellebarden. »Auf dass der Teufel ihn hole und Euch auch, Ihr Verdammten.«
    Mann an Mann rauschte der Trupp davon und verschwand genauso schnell wieder hinter derselben Hauswand, hinter der die Soldaten aufgetaucht waren.
    Erst als ihre Schritte verhallt waren, hievten die beiden Männer den Teppich wieder auf ihre Schultern und machten sich an den Aufstieg. Als sie endlich erschöpft auf der obersten Treppenstufe ankamen, zog Osman einen großen Eisenschlüssel hervor, mit dem er die Tür aufschloss. Gua Li erschrak zutiefst. Der Geruch des Todes drang brutal in ihre Nase, und sie musste sich die Hand vor den Mund halten, um sich nicht zu übergeben. Auch Britonio schnitt eine Grimasse, denn diesen Geruch kannte er nur zu gut.
    »Welches Aas hast du hier verrotten lassen?«
    »Ratten«, raunte Osman, »aber ich habe sie verbrannt, sowohl die lebenden als auch die toten.«
    Der Kapitän stellte keine weiteren Fragen, und sie legten den Teppich wortlos auf ein Bett. Gua Li bat die beiden, zur Seite zu treten, damit sie die Verbände von Ferruccio entfernen konnte. Die junge Frau betrachtete sein Gesicht, das – von der Droge betäubt – überaus entspannt aussah: grau meliertes Haar, schwarzer Bart mit ein paar rötlichen Haaren am Kinn, markante Wangenknochen und stolze Lippen unter einer fein, beinahe feminin geschnittenen Nase. Sie dachte an den italienischen Prinzen, der die Fantasien ihrer Kindheit und dann ihre Jugend beflügelt hatte und dessen Freund Ferruccio gewesen war.
    Mit ihrem Finger glitt sie über seine Wange und wurde rot, als Ferruccio leicht stöhnend die Lippen öffnete – ein Stöhnen, das auch ein Seufzer der Liebe hätte sein können. Sie war sich sicher, dass er träumte – und warum sollte sie ihm also keinen Moment der Freude schenken, einen Augenblick vollkommenen Glücks, wie es ihn nur in Träumen gibt? Sie streichelte ihn weiter, bis sie sich eingestehen musste, dass es nicht der Gedanke an den Prinzen war, der ihr Herz höher schlagen ließ, sondern ihre Liebkosungen auf Ferruccios Antlitz und ihre Macht, ihm damit Genuss zu bereiten.
    Schnell stand sie auf. Britonio tauschte gerade mit Osman das Friedenszeichen aus und verabschiedete sich. Gua Li nickte ihm zu und ging in die Küche. Dort fegte sie den Kamin, aus dem kleine Knochen und Nägel stieben. Es war nicht der Moment, Fragen zu stellen, früher oder später würde sie dies oder jenes von Osman schon erfahren. Sie musste sich beeilen mit der Zubereitung des Sedativums, denn sie durfte nicht zulassen, dass Ferruccio zur Unzeit wieder zu sich kam.
    Sie nahm trockenes Heu, machte ein kleines Nest daraus und rieb einen Kiesel so lange auf dem Feuerstein, bis der erste Rauch aufstieg. Sie fügte noch mehr Stroh hinzu und blies gleichmäßig, bis die erste Flamme aufzüngelte. Dann legte sie Holzscheite und Stofflappen dazu, die sie in einer Ecke gefunden hatte, und hängte ein Töpfchen über das Feuer. Als das Wasser mit den Mohnsamen kochte, hielt sie sich ein Taschentuch vor Mund und

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