Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Traditionen teilte, verlangten, dass ich ihre Vision von Gott als die richtige anerkannte und ihren Weg zum Heil als den allein seligmachenden.
12.Ich sprach aber auch mit den einfachen Menschen und Völkern. Ihnen erzählte ich, dass Freiheit nur aus Einheit erwächst und nicht aus Trennung; nur aus Liebe und nicht aus Reichtum; nur aus Vernunft und nicht aus Gewalt. Doch außer meinen Brüdern und meiner Mutter waren nur wenige bereit, mir zu glauben.
13.Ich war versucht, alles aufzugeben und in meine zweite Heimat, in der ich meine Frau und meine Tochter verloren hatte, zurückzukehren. Weil ich dort aber den wahren Sinn des Lebens zu erkennen gelernt hatte – dass alles Wissen nutzlos ist, wenn es nicht geteilt wird, entschied ich mich, bei meinem Volk zu bleiben.
14.Niemand wollte mich verstehen – bis ich meinen Worten durch sogenannte Wunder größere Bedeutung verlieh. Dass sie Werke Gottes seien, glaubte nur das Volk – ich wusste, dass sie meinem Wissen entsprangen, das mir im Orient geschenkt worden war. Auch dass ich der Messias sei und der Sohn Gottes, habe ich niemals gesagt.
15.Es war mein Bruder Judas, der mir am ähnlichsten ist und der mir half zu verstehen, wie ich zu meinem Volk sprechen müsste, damit meine Worte Gehör fänden. Während der Hochzeit meines Bruders Jakob wandte ich zum ersten Mal die Hypnose an, die ich von den Mönchen gelernt hatte: Alle tranken Wasser und glaubten, es sei Wein – selbst meine Mutter. Nur Judas wusste, dass es eine Illusion war, und freute sich darüber.
16. Von diesem Tag an schenkten mir viele Menschen meines Volkes ihre Aufmerksamkeit. Sie fürchteten und liebten mich gleichzeitig. Die Täuschung ihrer Sinne brachte sie dazu, mir zuzuhören, und endlich trug der Samen meiner Worte Früchte: Meine Predigten rüttelten ihr Gewissen auf und brachten sie zum Nachdenken. Dass ich magische Kräfte hätte, wie sie mir unterstellten, habe ich niemals behauptet, und ich antwortete jedem, der mich einen Zauberer nannte, dass ich nur ein Mensch wie alle anderen sei.
17.Denen, die mich nach den Wundern fragten, erklärte ich, dass diese Gabe ein Ausdruck der Liebe sei, die in jedem Menschen schlummere, und dass er sie nur zu beherrschen lernen müsse – dann könne er sie anwenden oder verschenken.
18.Ich blieb also für drei weitere Jahre in meinem Land, um meine Mission zu beenden. Ich wollte das lebendige Wort unter mein Volk bringen. So lernte ich die Freuden des Paradieses und die Qualen der Hölle kennen. Und die Erfahrungen des Lebens vollendeten mein Wissen auf dem Weg zur Weisheit.
ZWEITES BUCH
oder das Gute und das Böse
1.Im ersten Jahr unter dem Volke Israels wanderte ich von Dorf zu Dorf. Bauern, Schäfer und Handwerker waren die Ersten, die sich mir näherten und zuhörten. Ihre Seelen waren einfach, doch ihre Herzen rein – wie das meine. Ich wusste jedoch, dass auch eine einfache Seele von der Suche nach dem Guten abgelenkt werden kann auf die Straße des Bösen.
2.Ein Prophet, der zukünftigen Ereignissen vorgreift oder sie vorhersagt, ist ein Betrüger. Ein wahrer Prophet beschreibt das Gute oder das Böse, das den Menschen auf der Suche nach dem Guten oder dem Bösen ereilen kann. Ein Prophet gibt Hinweise darauf, wo der Stein fällt, aber nicht darauf, wer ihn in der Hand hält.
3.Man warf mir Gottlosigkeit vor, doch habe ich die Religion unserer Väter immer anerkannt. Ich sagte nur, dass sie im Laufe der Jahrhunderte hart und sperrig wie ein Felsblock geworden sei und dass sie an unsere Zeit angepasst werden müsse, um leb- und verstehbar zu bleiben. Vor allem aber, um nicht zum Zwang zu werden.
4.Es gibt keinen Gott, der einen unschuldigen Sohn ermordet, der uns zwingt zu hungern, nur um den Schabbat zu feiern. Und es gibt keinen Gott, der Kriege gegen andere Völker führt. Und doch haben unsere Väter uns dies gelehrt. Das Wort aber kommt von den Menschen und nicht von Gott.
5.Die Priester wurden von keinem Gott, nicht einmal dem Gott Abrahams eingesetzt; das steht nirgendwo geschrieben. Kein Gott hat den Menschen die Riten vorgeschrieben, die uns die Priester auferlegen, um mit dem Allmächtigen in Kontakt zu treten. Kein Gott hat je das Opfern eines Menschen oder eines Tieres verlangt. Kein Gott war mit seinen eigenen Kindern zornig oder hat gar ihre Auslöschung verlangt.
6.Die Gebote jeder Gottheit – vom Orient bis zum Okzident – haben die gleichen Prinzipien und sagen dasselbe über die Liebe, die Freiheit sowie
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