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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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sei, doch ich antwortete ihm, dass man nur sein Herz fragen soll, wenn man Almosen gibt und nicht, ob der Empfänger es verdient hat. Es ist nicht wichtig, ob er des Almosens würdig ist – er wird es mit seinem Gewissen ausmachen müssen. Es geht um den Akt des Gebens an sich und nicht um die Bedürftigkeit des Empfangenden.

    3.In der Nähe von Kapernaum zeigte ein römischer Soldat mit seiner Lanze auf mich und rief: »Die Menschen sagen, du vollbringst Wunder. Verwandle diese Klinge in eine Ähre, und du wirst nicht sterben.« Ich befolgte die Lehren meiner Meister und konzentrierte meine Energien auf das Metall, das sich plötzlich wie ein Grashalm bog. Daraufhin fragte mich der Soldat, ob er meine Macht erlernen könne, um sie gegen seine Feinde einzusetzen.
    »Folge mir«, sagte ich ihm, »und du wirst es erfahren.«
    »Ich muss dem Kaiser folgen«, antwortete er, »ich kann nicht.«
    Nicht zu wollen oder nicht zu können aber ist der Weg des Mangels und des Unglücks.
    4.Oft wurde ich nach meinem Vater gefragt und ob ich das, was ich predigte, von ihm gelernt hätte. Ich antwortete, dass ich zwei Väter habe: einen hier und einen auf der anderen Seite der Welt – Josef, den Zimmermann und Ong Pa, den Mönch. Und ich sagte ihnen, dass es der Mönch war, der mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin. Blutsverwandtschaft ist wichtig, doch die Seele ist wichtiger.
    5.Auf dem Weg nach Jerusalem begleitete uns ein Pharisäer. Er beschwerte sich bei meinen Brüdern, dass ich Maria Magdalena nach ihrer Meinung und um ihren Rat fragte.
    »In den heiligen Schriften«, sagte er, »wird weder ein weiblicher Prophet noch eine mächtige Frau erwähnt. Und selbst die Königin von Saba kam nur, um dem weisen Salomon zuzuhören.« Als mir das meine Brüder ein wenig verlegen erzählten, wandte ich mich direkt an ihn: »Das beweist, wie weit der Weg auf der Straße der Gleichheit noch ist.«
    6.Ein Rabbiner aus Jeblaan lud mich ein, in einer Schule zu sprechen. Die Kinder waren so alt wie ich damals, als ich gewagt hatte, dem Sanhedrin zu antworten. Am Schluss fragte mich ein Kind, ob es wichtig sei, den Lehrern, Eltern und Gott Gehorsam zu leisten. Das Gewissen aber ist wichtiger als Gehorsam, und das Gewissen weist dem, der darauf hört, den rechten Weg.
    7.Wenige Tage später traf ich auf eine Gruppe Kinder, und obwohl wir nach Samaria gehen mussten, hielt ich an und spielte lange mit ihnen. Des Wartens überdrüssig gesellten sich einer nach dem anderen zu uns: Maria Magdalena, meine Brüder und all unsere Gefährten. Wir spielten bis zum Einbruch der Dunkelheit. In jener Nacht schliefen wir mit Frieden in der Seele. Wer fähig ist, mit Kindern zu spielen, ohne sie dabei etwas lehren zu wollen, hat die Schönheiten des Lebens verstanden und ist auch fähig, seiner Frau oder seinem Mann Glück zu schenken und es doppelt zu empfangen. Wer nicht spielen kann und mit gerunzelter Stirn liebt, sollte zu den Kindern gehen.
    8.In Jerusalem und im Hafen von Banyas finden die größten Wochenmärkte des Landes statt. Völker aus den Ebenen und den Bergen kamen dort zusammen, um ihre Waren feilzubieten und Neuigkeiten auszutauschen. Jedes Mal, wenn ich mich in Banyas befand, disputierte ich mit ihnen, obwohl es wegen der vielen Sprachen nicht einfach war zu kommunizieren. Lernen kann man aber nur von jemandem, der anders ist als man selbst. Je unterschiedlicher die verschiedenen Ansichten und Sitten sind, desto reicher wird die Seele. Wie die Strömungen zweier Flüsse, die durch ihre Vereinigung die Gewässer fruchtbarer und die Fische größer und stärker machen.
    9.In Dora, im Grenzgebiet zwischen Samaria und Phönizien, kamen zwei Frauen zu mir und suchten meinen Rat. Sie waren verzweifelt, denn sie liebten denselben Mann, und dieser konnte sich nicht entscheiden, welcher von beiden er seine Liebe schenken sollte. Judas war der Meinung, dass die Frauen sich die Liebe des Mannes teilen sollten. Diejenige, die ihn zuerst kennengelernt hatte, sollte ihn an den ungeraden Tagen für sich haben und die zweite an den geraden Tagen. Maria Magdalena hingegen meinte, dass sich beide von ihm trennen sollten, denn er sei kein Mann, wenn er keine Entscheidung treffen könne.
    10.Vor dem Haus meiner Mutter stieg ein Mann aus seiner Sänfte, der ein wertvolles, mit Gold- und Silberfäden durchwebtes Leinengewand trug. Er hatte seinen Sohn dabei und bat mich, ihn mitzunehmen und in meinem Geiste zu erziehen. »Ich liebe ihn«, sagte er,

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