Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Antwort.
»Ich glaube allerdings nicht, dass Ihr so weit kommt«, fuhr der Mann fort. »Ich werde es Euch sagen, Madonna Leonora, und es erscheint mir nur richtig, da ich den Euren bereits kenne. Ich heiße Marcello und ja, ich predige – allerdings nicht wie der wahnsinnige Dominikaner, den Ihr kennt. Ich bin nur ein einfacher Diener des heiligen Augustinus und ein guter Freund des Monsignore, wie mich Euer Gatte so unvorsichtig nannte. Der Kardinal beehrt mich mit seiner Wertschätzung, und ich biete ihm dafür bereitwillig meine Dienste dar – so wie Ferruccio auch: Er und ich haben zahlreiche Gemeinsamkeiten.«
Die Art und Weise und der Ton, wie er die letzten Worte aussprach, gefielen Leonora gar nicht. Sie ließ sich ihr Unbehagen jedoch nicht anmerken und tat so, als wäre sie ganz in die Predigt versunken.
»Sollte ich Euch beleidigt haben, so bitte ich um Verzeihung. Die Erziehung, die ich in meiner Heimat Genazzano genossen habe, ist mit der Euren nicht vergleichbar. Ab und an drücke ich mich eher wie ein Kutscher als wie ein Mann Gottes aus.«
»Was wisst Ihr von meiner Erziehung, Bruder Marcello – oder wie auch immer Euer Name sein mag. Im Übrigen ist es mir auch gleichgültig, ob Ihr wahrhaftig ein Mönch seid oder nicht.«
»Treibt es nicht zu weit mit mir, Leonora. Obwohl mir der heilige Augustinus Demut auferlegte, bedeutet das nicht, dass ich ein Dummkopf oder ein Abenteurer bin. Ich bin hier, um Rom und demjenigen zu dienen, bei dem Euer Gatte gerade die Beichte ablegt. Über Eure Erziehung wissen wir, dass Euch die Nonnen des Santa-Chiara-Klosters in Rom umfassende Empfehlungen und Ermahnungen erteilten, denen Ihr jedoch in der darauffolgenden Zeit, und ohne Schuld daran zu haben, nicht Folge leisten konntet …«
Leonora errötete vor Scham, und ihre Beine begannen unwillkürlich zu zittern, als sie an jene schreckliche Zeit in Rom zurückdachte. Plötzlich war alles wieder präsent: die Schande, als sie aus dem Kloster geworfen wurde, ihr täglicher Kampf, den Hunger zu stillen, und wie sie schließlich sogar ihre Ehre verkaufte – in der Hoffnung, durch die Gnade eines Gottes, an den sie schon lange nicht mehr glaubte, endlich sterben zu dürfen. Nun war ihr Geheimnis, das eigentlich nur Ferruccio kennen durfte, allgemein bekannt geworden. Die Schreckgespenster der Vergangenheit waren zurückgekehrt und schienen nun erneut von ihr und ihrem Ehemann Gehorsam und Stillschweigen einzufordern. Die Stimme des Predigers wurde immer lauter; der Mönch grinste sie zweideutig an, und der Mob, der wie eine einzige monströse Kreatur schwitzte, keuchte und schwankte, bedrängte sie von allen Seiten. Leonora hatte Angst, es nicht weiter zu ertragen, aber sie musste durchhalten – für Ferruccio und für sie beide. Ihre Nägel krallten sich in ihre Unterarme, und Leonora warf dem Mönch einen verächtlichen Blick zu. Weinen würde sie erst zu Hause, wenn sie endlich allein war.
Draußen vor der Kirche strömte die Luft wie eine lang ersehnte Gnade in Ferruccios Lungen. Mit wenigen Schritten erreichte er den Kreuzgang des Klosters. Der doppelte Säulengang versperrte den Blick auf den freien Himmel und spendete angenehme Kühle. Ferruccio schaute sich um. Gegenüber, in der Nähe des zentralen Brunnens, sah er drei Kapuzen tragende Mönche, die rhythmisch betend hintereinander durch den Kreuzgang gingen. Ferruccio wandte sich nach links, um ihnen entgegenzugehen, damit er sie nicht von hinten überraschte. Er bewegte sich mit Bedacht, damit die Mönche genug Zeit hatten, ihn zu erkennen. Wenn einer dieser drei wirklich der Monsignore war, würde er ihm ein Zeichen geben.
Ferruccio fragte sich, ob er Giovanni Medici wiedererkennen würde. Seine Stimme war ihm jedenfalls gänzlich unbekannt. Er nahm sich vor, genau aufzupassen, was er sagen und auf seine Fragen antworten würde. Auch die Vorsicht war eine Kardinaltugend, sagte sich Ferruccio, genau wie die Gerechtigkeit, die Stärke und die Mäßigung. Er hatte den Eindruck, dass die Mönche nun langsamer gingen, und zügelte ebenfalls seinen Schritt. Ab und an blieb Ferruccio stehen, um die gedrechselten Säulen mit ihren beunruhigenden Kapitellen zu betrachten, die Teufelsfratzen, auf dem Kopf stehende menschliche Antlitze, aber auch Greife, Drachen, Löwen, Gorgonen oder Sirenen mit entblößter Brust darstellten. Der erste Mönch, hochgewachsen und von kräftiger Statur, blieb jedoch nicht vor Ferruccio stehen, sondern ging an ihm vorbei.
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