Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Die blasse Hand des zweiten griff jedoch nach seinem Arm.
»Komm, mein Sohn, setzen wir uns.«
Stillschweigend kam Ferruccio der Aufforderung nach. In einer Ecke des Kreuzgangs nahmen die beiden auf einer Marmorbank Platz, während sich die anderen beiden Mönche rechts und links von ihnen im Gebet sammelten.
» In nomine Patris, Filii et Spiritu sancti .«
Die Stimme unter der Kapuze gehörte einem jungen Mann. Wie alt mochte Giovanni nunmehr sein? Kaum älter als zwanzig, rechnete er nach und erinnerte sich an ihn, wie er als Kind in Careggi mit seinen Gouvernanten Fangen gespielt und sich lachend hinter den Obstbäumen versteckt hatte. Auch die gestrengen Ermahnungen von Lorenzo, Giovannis Vater, kamen ihm wieder in den Sinn. Dieser war stets von den berühmtesten Malern, Schriftstellern und Philosophen umgeben gewesen und hatte Giovanni immer ermahnt, dass er sich nicht zu weit in den Wald hineinwagen dürfte, weil er dort auf den schrecklichen Monoceros treffen könnte. Daraufhin hatte Giovanni sich von seinem Vater die Geschichte dieser Kreatur erzählen lassen, die den Körper eines Pferdes, die Füße eines Elefanten, den Schwanz eines Warzenschweins und den Kopf eines Hirsches hatte, auf dem jedoch nur ein einzelnes Horn aus wertvollstem Elfenbein thronte. Und wenn die Gelehrten, die bei ihnen saßen, über diese Fantastereien lachten, hatte Lorenzo sie gewarnt, nicht zu sehr auf ihre philosophischen und wissenschaftlichen Überzeugungen zu bauen, um ihnen dann ein drei Spannen langes, spiralförmiges Horn zu präsentieren, das er in einem Schaukasten aufbewahrte. Careggi war ein Ort voller Erinnerungen – auch deshalb hatte ihn Ferruccio als Zufluchtsort für sich und Leonora ausgesucht.
» Et cum spiritu tuo «, antwortete Ferruccio.
»Nach so langer Zeit freue ich mich, etwas von dir zu hören, Ferruccio de Mola, du treuester unter den Freunden meines Vaters.«
Ferruccio hatte Lorenzo den Prächtigen nie als seinen Freund betrachtet – und auch der Herrscher von Florenz hatte ihm nie zu verstehen gegeben, dass er ihn für einen hielt. Ferruccio fühlte sich eher als Vertrauter oder Berater, aber eine Freundschaft war etwas ganz anderes.
»Monsignore«, antwortete er, »ich freue mich, Ihrem Vater dienstbar gewesen zu sein, und ich empfinde eine große Dankbarkeit für die Person, an die Ihr mich erinnert habt.«
»Du hast immer noch kein Vertrauen«, sagte die Stimme, »weil du mich nicht siehst – obwohl du mich vermutlich gar nicht wiedererkennen würdest. Wir sollten einen Vertrauenspakt schließen. Am besten hier und jetzt.«
»Verzeiht, Monsignore, aber abgesehen von diesem Ort sind es die unsicheren Zeiten, die nach Vorsicht verlangen.«
»Wohl erkenne ich dich nun durch diese Worte, Ferruccio. Nun weiß ich, dass du es wahrhaftig bist. Und damit du mir trauen kannst, frage ich dich, ob du den Ring gesehen hast. Erkanntest du ihn wieder?«
Ferruccio horchte auf. Von diesem Ring wussten tatsächlich nur er selbst, Leonora, Carnesecchi und sein Auftraggeber. Bei dem Fremden musste es sich also um Giovanni handeln – außer der Ring wäre den Medici entwendet worden. Doch wenn dem so wäre, hätte Ferruccio das mit Sicherheit zeitnah herausgefunden.
»Ja, das habe ich, Monsignore.« Seine Stimme war nun entschlossen. »Aus diesem Grund bin ich hier.«
»Immer dieses ›Monsignore‹…« Giovanni klang jetzt ungeduldig. »Ich habe auf deinen Knien gesessen, und du hast mir die ersten Kunstgriffe mit dem Schwert beigebracht, bevor mich das Schicksal in diese Kleider hier steckte. Erinnerst du dich nicht?«
»Verzeiht mir erneut«, antwortete Ferruccio, »aber das Leben verändert sich und verändert uns, Monsignore. Deshalb bitte ich darum, Euch mit dem Respekt ansprechen zu dürfen, den ich dem Gewand zolle. Dies wird keinerlei Einfluss auf meine Ergebenheit und Zuneigung haben, die ich für Euch empfinde.«
»So sei es, Ferruccio, wie du möchtest. Nun komme ich umgehend zu dem Grunde unseres Treffens. Wie seinerzeit mein Vater bin ich heute derjenige, der deine Dienste braucht.«
So – nun waren die Fronten geklärt. Ferruccio de Mola, ein Mann des Schwertes, war aufgrund seiner Verbundenheit mit den de’ Medici erneut gezwungen, einem Vertreter der Familie zuzuhören – ob er wollte oder nicht. Betende Mönche gingen an ihnen vorbei und Damen, deren Schuhe im Kreuzgang klapperten und die von edlen Herren, die glänzende Rüstungen trugen, am Arm geführt wurden. Jünglinge
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