Das Vermächtnis des Martí Barbany
Schließlich erwarb Martí einen guten Quersack, den er mit den für die lange Reise notwendigsten Sachen füllen musste. Nachdem er all diese Einkäufe abgeschlossen hatte, spazierte er zusammen mit seinem neuen Diener durch den Ort, um sich einzugewöhnen und die Wartezeit zu nutzen. Er mischte sich unter die Leute, wobei er so tat, als wäre er ein Kaufmann, und er kleidete sich sogar wie ein Araber, um weniger aufzufallen und sich auf diese Weise an die Sitten des Volks anzupassen.
Wenn er sich abends in sein Zimmer zurückzog, hatte er mehr als genug Zeit, um nachzudenken. Er beschloss, nach dieser Reise unbedingt heimzukehren. Bevor er aufbrach, gab er Hazan zwei lange Briefe, damit dieser sie auf einem Schiff der Gesellschaft nach Barcelona schickte: Der erste war für Laia und der zweite für Omar. Er erklärte ihm, dass er nach seiner Rückkehr von Sidon aus heimfahren werde. Dass er keine Nachrichten von seiner Geliebten hatte, war ein Stachel, der Martí jede Nacht peinigte und ihm den Schlaf raubte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass Laias Briefe vielleicht verloren gegangen waren, doch ihn beunruhigte eine sonderbare Vorahnung.
Endlich kam der große Tag.
Von Hugues de Rogent geführt, setzte sich die buntscheckige Karawane in Bewegung. Ihr Ziel war Damaskus, und mitten in der Menge befand sich Martí.
56
Laias Jungfernblüte
A ls Laia endlich Aixa wiedersehen konnte, wobei sie selbstverständlich von ihrer Anstandsdame und Wärterin begleitet wurde, glaubte sie, dass es in dieser aus den Fugen geratenen Welt doch noch christliche Barmherzigkeit gebe. Aixa hatte keine blauen Flecken mehr, und ihre Wunden waren einigermaßen vernarbt, sodass sie wieder halbwegs wie ein Mensch aussah. Die Anstandsdame trat zurück und blieb im Gang stehen, womit sie sich über die Anweisungen ihres Herrn hinwegsetzte. Dort beschimpfte sie heftig den Wächter, denn ihren empfindlichen Geruchssinn beleidigte der ekelhafte Gestank, den man in den Zellen atmete. Laia nutzte die Gelegenheit, um mit ihrer Freundin zu sprechen.
Die beiden Frauen hielten sich lange Zeit eng umschlungen. Danach betrachtete das Mädchen eingehend die Sklavin.
»Wie geht es dir, liebe Freundin?«
Aixas geschwollene Lippen deuteten ein schwaches Lächeln an.
»Ich lebe, das ist schon viel. Und was ist aus Euch geworden?«
Laia erzählte ihr die Einzelheiten ihrer Qualen. Dabei schrieb sie ihr Unglück den Briefen und den Begegnungen mit Martí zu, und sie überging die lüsternen Ansprüche ihres Vormunds, um ihre Freundin nicht zu erschrecken, denn deren Schicksal hing ja von ihrem eigenen ab. Sie erwähnte lediglich ihr Fasten und den Grund, warum sie es abgebrochen hatte.
»Jetzt verstehe ich vieles«, flüsterte Aixa und unterdrückte einen Seufzer. »Nach einiger Zeit, ich kann nicht genau sagen, wann es war, weil die Tage hier unten langsam und zähflüssig wie Lampenöl dahinfließen, ist ein Arzt heruntergekommen, der meine Wunden mit Salben eingerieben hat, und von da an haben sie mir zwei tägliche Mahlzeiten gegeben.«
»Beim letzten Mal dachte ich, dass sie dich totgeschlagen hätten«, sagte Laia mit tränennassen Augen.
»Wenn sie es nur getan hätten. Sie wollten aus mir herausprügeln, wie und wann Ihr mit Martí zusammen wart, aber sie haben es nicht geschafft, dass ich den Mund aufmachte. Dann bin ich in Ohnmacht gefallen und habe nichts mehr gespürt. Ich glaubte, dass ich phantasierte, denn es kam mir so vor, als hätte ich Euch im Traum gesehen.«
Laia strich der Sklavin übers Haar.
»Er hat mich hierhergeschleppt, um meinen Widerstand zu brechen, und ich habe seine Bedingungen angenommen, denn sonst hätte er dich umgebracht, das steht für mich fest.«
»Was für Bedingungen, Laia?«
Das Mädchen unterrichtete sie über den Brief, den sie hatte schreiben müssen, und über die List, die sie benutzt hatte, damit ihr Geliebter begreifen konnte, dass die Worte nicht dem entsprachen, was ihr Herz wirklich sagte.
»Wie klug Ihr seid... Mein Herr kann gewiss zwischen den Zeilen lesen.«
Eine lange Pause trat ein, in der beide Frauen einander wortlos ansahen.
»Aixa, ich will mich bemühen, dich immer zu besuchen, wenn ich kann, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir die Zeit im Gefängnis zu erleichtern.«
»Macht Euch keine Sorgen um mich, ich fürchte den Tod nicht. In meinem Leben habe ich ihn mehrmals nahe gesehen. Größere Angst macht mir die Folter. Wenn Ihr mich wirklich
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