Das Vermächtnis des Martí Barbany
Euer Leben schützen muss, denn Ihr habt ja schon einen Erben.«
Der Arzt fühlte, dass ihn Almodis’ Hand umklammerte und wie eine Kralle an seinem Obergewand zog, um ihn zu zwingen, noch näher heranzukommen.
»Ihr habt falsch gedacht! Mein zweiter Sohn ist da drinnen, und er wird zur Welt kommen. Dafür habe ich Euch hergeholt – oder seid Ihr eine gewöhnliche Hebamme? Schneidet mich auf, wenn es sein muss, aber holt das Kind heraus! Es sind zwei Fürsten, und ich weiß nicht, wer von beiden das Schicksal des anderen beeinflussen wird; mir ist unbekannt, welche Wege ihre Schicksalssterne vorzeichnen. Ich brauche Zeit, um sie genau kennenzulernen und das herauszufinden, und ich will kein Wagnis eingehen.«
»Herrin, Ihr redet im Fieber. Ich verstehe nicht, was Ihr sagt. Der Graf hat angeordnet, dass...«
Almodis’ Stimme war ein herrisches Flüstern, das nur Halevis Ohren vernahmen.
»Ihr braucht mich auch nicht zu verstehen. In diesem Augenblick kümmert mich die Meinung des Grafen nicht das Geringste: Ich brauchte ihn, als ich ihn im Lager besuchte, damit er mich schwängerte. Jetzt kommen alle Entscheidungen mir zu, und das Schicksal eines Volks steht auf dem Spiel. Geht ans Werk!«
Etwas später beglaubigten der Bischof Odó von Montcada und der
Notar Guillem von Valderribes, dass die Gräfin Almodis de la Marche zwei Fürsten geboren hatte. Sie ruhte erschöpft im großen Himmelbett. Ramón Berenguer I. betrachtete verzückt die Neugeborenen, die, in Windeln gewickelt, gemeinsam in einem riesigen Korb lagen. Das erste war blond, rosig und schön, das andere winzig, braunhäutig und schwächlich. Es wurde von einem untröstlichen Weinen geschüttelt und versuchte mit seinen kleinen Fingernägeln sich in den Hals seines Bruders zu krallen.
55
Sidon
M it dem Schiff des Griechen kam Martí zur Levanteküste. Sobald die Stella Maris im Hafen von Sidon angelegt hatte, verabschiedete sich Martí von Manipoulos und wünschte ihm weiterhin gute Fahrt und viel Glück. Dann machte er sich bereit, das Abenteuer zu wagen, das, wie er ahnte, seinem Leben eine ganz neue Wendung geben würde. Als Erstes holte er Erkundigungen ein, wie er die von ihm geplante Reiseroute am sichersten und schnellsten bewältigen konnte.
Die hebräischen Kaufleute kamen in einem Laden beim Hafen zusammen, und er wurde so zuvorkommend wie immer empfangen, als er das Dokument vorlegte, das ihm Baruch in Barcelona gegeben hatte und das wie ein Generalschlüssel wirkte, um alle Türen aufzuschließen. Unverzüglich brachten sie Martí mit ihrem Vorsteher zusammen, der Yeshua Hazan hieß. Wenn er nicht sicher gewusst hätte, dass er an der richtigen Stelle war, hätte er sich vorstellen können, dass er sich im Geschäft eines angesehenen arabischen Kaufmanns befand. Der Boden war mit Teppichen und riesigen Kissen bedeckt, und dazwischen standen niedrige Tischchen, auf denen man Schüsseln mit allen möglichen Leckereien sah. Von dem Diener, der ihn hineinführte, bis zu dem Kind, das ihm ein Waschbecken mit Rosenwasser anbot, trugen alle kurze Jäckchen und weite Pluderhosen, und ihre Füße steckten in ledernen, mit Saffian verzierten Pantoffeln. Martí wartete stehend auf die Ankunft des Mannes. Als dieser das Zimmer betrat, stellte Martí fest, dass er Baruch Benvenists Brief in der rechten Hand hielt.
»Lieber junger Mann! Nichts kann mir eine größere Freude bereiten, als mich um jemanden zu kümmern, der ein solches Beglaubigungsschreiben vorweist. Baruch ist in allen Weltgegenden, in denen Juden wohnen, ein Inbegriff der Rechtschaffenheit. Sein Name wird in allen
jüdischen Gemeinschaften am Mittelmeer verehrt. Seid so liebenswürdig, Platz zu nehmen.«
Martí erklärte: »Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass sich dieses Haus so sehr von denen in Barcelona unterscheidet.«
»Bedenkt, unser Volk hat kein Vaterland, und darum passen wir uns den Formen und Sitten der Reiche an, die uns aufnehmen. Auf diese Weise fallen wir den Leuten weniger auf, und das ist gut für unsere Sicherheit. Wir müssen nützlich und vor allem diskret sein, und außerdem haben wir zwar eine gemeinsame Herkunft, doch es gibt gewisse Unterschiede zwischen denen, die zum Beispiel in christlichen Reichen leben, und den anderen in den Ländern des Islam. Aber sagt mir, welchen Grund hat Euer Besuch?«
»Ich möchte mich so kurz wie möglich fassen. Ich will Euch nicht bei Euren täglichen Geschäften stören.«
Martí teilte mit, dass er nach
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