Das Vermächtnis des Martí Barbany
Greift man mit dieser Mischung ein Schiff an, so steckt man es rettungslos in Brand. Wenn nämlich die Pfeilspitzen der Bogenschützen mit einem Tuch umwickelt sind, das mit diesem Produkt durchtränkt ist, lassen sie das Schiff unaufhaltsam brennen, weil es beinahe unmöglich ist, das Feuer zu löschen, selbst wenn man Meerwasser auf die Brandstelle schüttet. Begreift Ihr, welche Macht der auf sich vereint, der diese Formel bekommt?«
Martís Geist arbeitete wie ein Räderwerk.
»Dazu fallen mir alle möglichen Fragen ein. Zuerst einmal: Warum wollt Ihr gerade mir ein solches Wunder anvertrauen?«
»Schon in unserer Kinderzeit hat mir Hassan als Lehrmeister gedient, und es muss seinen guten Grund haben, wenn er Euch mit solch lobenden Worten bedenkt, wie er es in seinem Brief tut. Offensichtlich seid Ihr ein guter Mensch. Niemand kommt in diese Gegenden, und vielleicht sterbe ich sonst, ohne dass ich mein Geheimnis weitergeben kann.«
»Warum sagt Ihr es nicht Hassan?«
»Er ist nicht der Richtige. Auch er wird nicht heiraten, allerdings aus einem anderen Grund als ich.«
»Da ich eine solch gewaltige Verantwortung übernehmen soll, muss ich wissen, was diese beiden Gründe sind.«
»Soll ich das so verstehen, dass ich, wenn ich Euch überzeuge, Euch mein Geheimnis anvertrauen kann?«
»Das verspreche ich Euch.«
Rashid machte eine Pause, setzte sich und erzählte weiter.
»Meine Geschichte ist sehr traurig und trotzdem alltäglich. Es ist schon recht lange her, dass ich mit meinem Vater einen Jahrmarkt in Kerbela besuchte und eine junge Armenierin kennenlernte, die, kaum hatte ich sie gesehen, zum Licht meines Lebens wurde. Ich wagte es, ihr einen Liebesbrief mit einem Gedicht zu schicken. Sie antwortete mir am nächsten Tag mit einem Brief, den ein Schreiber aufgesetzt hatte. So ging es in den folgenden Tagen weiter, bis wir schließlich ein Stelldichein vereinbarten. Ich wollte um ihre Hand anhalten, aber unsere Familien waren dagegen. Uns trennte nicht nur die Entfernung, sondern auch die Religion: Ich war Christ und sie Muslimin. Am letzten Tag des Jahrmarkts schworen wir uns ewige Liebe und verabschiedeten uns. Nach ein paar Monaten kam hier ein Tscherkesse auf dem Weg nach Babylon durch
und übergab mir einen Brief von ihr. Darin teilte sie mir mit, dass sie davonlaufen wollte. Ich sollte auf sie warten, damit wir gemeinsam fliehen könnten. Sie ist nie angekommen. Ich habe versucht, etwas über sie zu erfahren, aber es war vergebens. Niemand konnte mir antworten. Als hätte die Erde sie verschluckt.« Der Mann machte eine Pause, und Martí sah, dass eine Träne über die Runzeln seiner sonnenverbrannten Wange glitt. Er trocknete sie mit dem Ärmel ab und erzählte weiter: »Aber etwas sagt mir, dass sie lebt und eines Tages zurückkommt. Versteht Ihr jetzt, warum ich dieses Land nicht verlassen will? Wenn ich es täte, würde ich die einzige Möglichkeit zunichte machen, sie wiederzufinden.«
»Ich verstehe Euch. Ich weiß, wie so etwas ist. Und nun sagt mir, was Euren Bruder vertrieben hat.«
»Auch bei ihm war es die Liebe, selbst wenn Ihr es für unmöglich haltet. Eine unverstandene Liebe, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Mein Bruder Hassan musste überstürzt fliehen.«
»Vielleicht wegen ihrer Familie?«
»Nein, wegen seiner Familie. Man wollte ihn steinigen. Mein Bruder Hassan ist Männern zugeneigt, und seine Liebe war ein Jüngling, den er in Kirkuk kennengelernt hatte. Wie Ihr gewiss versteht, darf er nie zurückkommen. Die Sippen und damit auch die Stämme in diesem Teil der Welt verzeihen Ehrverletzungen nie. Deshalb fehlt mir ein Ohr, und das ist auch der Grund, dass ich ihm nicht das Geheimnis des ›Griechischen Feuers‹ anvertrauen darf: Er wird nie Kinder bekommen und immer frei wie ein Vogel leben, denn seit damals flieht er vor den Menschen, und niemals darf er zurückkommen. Er wird allein und in einem fremden Land sterben.«
Martí verpflichtete sich, das Geheimnis für sich zu behalten. Nach einer Woche brachen sie auf, und bei sich hatte er die Formel und die genauen Angaben der Mengen, die man brauchte, um den hochgefährlichen Kampfstoff herzustellen. Er ließ Marwan, dem er alle Geschäfte übertragen hatte, in Mesopotamien zurück. Sein treuer Kameltreiber sollte einen Töpfer suchen, der römische Amphoren herzustellen hatte; diese sollten spitz zulaufen, damit man sie in ein Sandbett drücken konnte, das man am Boden der Schiffsvorratsräume
Weitere Kostenlose Bücher