Das Vermächtnis des Martí Barbany
doch ich ahnte, dass eine neue Liebe in ihrem wirren Kopf herumspukte und dass sie einem jungen Schürzenjäger des Hofes ins Netz gegangen war. Tatsächlich hatte mich meine Vorahnung nicht getäuscht. Sie gestand mir, dass sie sich wieder verliebt hatte, und diesmal, eine noch größere Schande, in einen verheirateten Mann: einen Adligen, einen von denen, die den Mächtigen nachlaufen. Ich weiß nicht, wer es ist, und sie will es nicht gestehen, doch ich ahne, dass es der Sohn eines Vornehmen ist, dessen Herkunft sie geblendet hat. Sie, die nicht wusste, dass er verheiratet war und dass er sie nie zur Gattin nehmen könnte, weil sie zum einfachen Volk gehört, gab sich ihm wie eine dumme Gans hin und wurde nach dem Beilager schwanger, doch sobald der Galan das von ihr erfahren hatte, machte er sich aus dem Staub und weigerte sich, das Kind anzuerkennen.«
Llobets Miene verriet nichts.
»Sprecht weiter.«
»Es ist meine Pflicht, über sie zu wachen, das habe ich meiner Frau auf ihrem Sterbebett versprochen. Nun suchten mich Zweifel heim: Sie lehnt es rundheraus ab, ihren Entjungferer zu verklagen. Also musste ich entweder für die Mittel sorgen, um diese Schwangerschaft vorzeitig
zu beenden, oder jemanden suchen, der ihrer würdig ist und sie zur Frau nimmt. Ihr kennt mich gut. Als Sohn der Kirche würde ich niemals einen Mord begehen, indem ich einer Abtreibung zustimme. Mir blieb nur eine Lösung, und das ist die Angelegenheit, die mich hergeführt hat. Niemand aus einem vornehmen Geschlecht würde sie zur Frau nehmen, und ich möchte sie keinem geben, der hinter meinem Geld her ist, denn sie soll mich ja eines Tages beerben. Doch Euer Schützling, den sie betrogen hat, ist ein Mann, der es zu großem Reichtum bringen wird. Er ist kein Adliger, aber er kann eines Tages Bürger dieser Stadt sein... Vor allem, wenn ich mich dafür einsetze. Wenn dieser junge Mann sie noch liebt, könntet Ihr das Hindernis der Schwangerschaft überwinden. Ich bin sicher, dass Euer Einfluss jede Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen vermag. Er würde eine Frau heiraten, die er bis vor Kurzem geliebt hat, Bürger Barcelonas werden und Vaterstelle an dem Kind vertreten, das Laia zur Welt bringt. Meine Pflegetochter würde ihre Ehre retten, und die Zeit könnte alle Wunden heilen.«
Pater Llobet dachte einige Augenblicke nach. Er war ein scharfsinniger Kenner des menschlichen Elends und außerdem ein erfahrener Mann. Er spürte, dass sich hinter dieser sonderbaren Geschichte ein Mysterium verbarg, das ihm vorläufig unzugänglich blieb.
»Seit Langem sehe ich Euch nicht mehr in meinem Beichtstuhl, Bernat.«
Den anderen brachte diese ungewöhnliche Antwort etwas aus der Fassung.
»Gewiss, Ihr habt recht. Meine Beschäftigungen beanspruchen mich ganz, und um meine Pflichten als guter Christ trotzdem zu erfüllen, suche ich die Sant-Miquel-Kirche auf, die näher bei meinem Haus liegt. Doch ich verstehe nicht, was Euer Kommentar mit der Angelegenheit zu tun hat, die mich heute Nachmittag zu Euch führt.«
»Ich meinte, dass ich, wenn ich darüber nachdenke, Euch gleich hier in meinem Arbeitszimmer die Beichte abnehmen könnte, damit wir beide im Stand der Gnade sind. Danach könnte ich Gott bitten, dass er uns bei einer so wichtigen Entscheidung erleuchtet.«
»Ich habe am Freitag gebeichtet. Ich bin mit Gott im Reinen, ich brauche nicht um die Vergebung meiner Sünden zu bitten.«
Eudald Llobet, der wusste, wie streng der Ratgeber das Beichtsakrament achtete, ahnte, dass dieser Geheimnisse und Absichten in seiner Seele verbarg, die er nicht in einer Beichte bekennen wollte.
»Also gut, lasst mich überlegen, wie man sich in dieser Lage verhalten soll. Ich habe gehört, dass es noch länger dauert, bis Martí zurückkehrt.«
»Darauf kommt es nicht an. Zusammen mit ihrer Anstandsdame und einer vertrauenswürdigen Hebamme schicke ich meine Tochter auf ein mir gehörendes Gut, damit sie dort bleibt bis zur Entbindung. Sie bekommt ihr Kind, und es wird fern von der Stadt aufwachsen. Wenn es angebracht ist, kehrt es zurück... Ob als leibliches Kind oder als Adoptivkind, das werden wir sehen. Jedenfalls ist dann alles vorüber, und niemand kommt auf falsche Gedanken.«
60
Rashid al-Malik
M achdem Martí und sein Kameltreiber die Tiere untergestellt hatten, wollten sie zusammen etwas essen. Im Dorf standen kaum mehr als zehn Hütten, doch die Einwohner waren trotz ihrer Armut liebenswürdig und gastfreundlich. Eine schwarz
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