Das Vermächtnis des Martí Barbany
keine kleinen Kinder mehr. Aber sagt mir: Wie ist die Welt?«
»Was für eine Frage, mein Gott!«, entgegnete Martí mit einem freimütigen Lächeln. »Groß, sehr groß, und von ganz unterschiedlichen Leuten bewohnt.«
»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich Euch beneidet habe und wie oft ich gerade hier an Euch dachte!«
»Das verstehe ich, mir ist es in Eurem Alter genauso ergangen: Ich meinte, dass mich ein enger Horizont einschloss und dass ich nie über meine heimatlichen Güter hinausgelangen würde... Und Ihr seht ja, ich bin in beinahe allen Ländern am Mittelmeer herumgekommen. Doch Ihr werdet schon merken, dass eines Tages alles eintritt, Euer Vater findet für Euch einen guten Mann, und in wenigen Jahren stellt Ihr fest, dass sich Euer Leben von Grund auf verändert hat.«
»Das kann sein. Aber ich glaube, dass ich nie heirate.«
»Warum sagt Ihr so etwas?«
»Die Vorahnungen einer Frau.«
»Gefällt Euch kein Junge?«
»Vielleicht, aber er weiß kaum, dass es mich gibt.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Galerie, und es erschien die unverwechselbare Gestalt Baruchs. Mit ausgebreiteten Armen eilte er auf Martí zu. Martí stand auf, und die beiden Männer umarmten sich unter den schelmischen und etwas unwilligen Blicken Ruths, denn die Unterbrechung gefiel ihr nicht.
»Was für eine Freude, junger Mann...! In meinem Alter habe ich manchmal befürchtet, dass ich Euch vielleicht nicht wiedersehe.«
»Jahve hat Euch behütet. Ich finde, Ihr seht besser aus als vor meiner Abfahrt.«
»Die Zeit ist unerbittlich, und sie verrinnt für alle. Aber setzen wir uns ins Haus, denn bald geht die Sonne unter, und es wird kalt. Es gibt so viel zu erzählen! Und dir, Tochter, danke ich für deine Mühe, doch nun geh bitte, und lass uns allein.«
Das Mädchen tat so, als hörte es ihren Vater nicht, und betrat das Wohnzimmer zusammen mit den beiden Männern, wo es sich scheinbar damit beschäftigte, dass es ein paar Kissen aufschüttelte.
»Ruth, verabschiede dich von Herrn Barbany, und zieh dich zurück. Ich habe alles Mögliche mit ihm zu besprechen.«
Der Jude hatte mit besonderer Betonung von »Herrn« Barbany gesprochen,
um seine Tochter darauf hinzuweisen, dass ihm die zwanglose Anrede nicht gefiel, mit der sie sich an Martí gewandt hatte.
»Vater, wenn Ihr gestattet, würde es mich sehr freuen hierzubleiben, ohne dass ich mich einmische oder Euch belästige. Martís Abenteuer auf seiner Weltreise könnten meine Kenntnisse viel mehr als alles andere erweitern.«
»Ruth, du hast das Talent zu stören. Was ich mit unserem Gast besprechen muss, geht dich nicht im Geringsten an. Wenn du deine Kenntnisse erweitern willst, bitte ich den Rabbiner, der dich zusammen mit Batsheva in unserer Religion unterrichtet, dir allein etwas mehr Zeit zu widmen, damit du ihn alles fragen kannst, was dich beunruhigt.«
»Ihr versteht mich nie!«, platzte Ruth heraus. »Ihr wollt mich wie eine dumme Gans im Haus festhalten, damit ich unsere langweiligen Religionstexte studiere, koscheres Essen kochen lerne, Kuchen backe und wie eine Magd arbeite.«
»Verschwinde mir sofort aus den Augen! Später reden wir, Mädchen.«
Das Mädchen ging, ohne sich zu verabschieden, wozu Martí spöttisch lächelte.
»Verzeiht ihr, die Jugend ist ein schwieriges Alter, und das gilt offenbar noch mehr für meine Tochter«, sagte der alte Baruch und unterdrückte einen Seufzer.
»Entschuldigt Euch nicht, Baruch. Sie hat einen energischen Charakter, der mich fasziniert. Er wird ihr in Zukunft viel nutzen.«
Beide Männer setzten sich und begannen ein Gespräch, das wohl sehr lange dauern würde.
Der Nachmittag verging. Der Jude hatte Feder, Tintenfass und Papier geholt und notierte alle Fragen, die seine Wissbegierde erregten oder seinen Rat oder auch sein Eingreifen erforderten.
Beide verständigten sich über die zukünftigen Aufgaben der Schiffe. Martí war entschlossen, für die Seeunternehmen den größten Teil seines Kapitals und auch die Gewinne zu investieren, die er aus dem Verkauf der Ländereien und Mühlen erzielen konnte. Außerdem erwähnte er, dass er ein neues Haus bei der Sant-Miquel-Kirche kaufen wollte, und hierfür erbat er Baruchs Rat. Dann sprachen sie über den Laden, der von Omar geführt wurde und sich glänzend entwickelte. Die Angelegenheit des »Griechischen Feuers« war ein besonderes Thema.
»Davon habe ich schon gehört. In manchen unserer alten Handschriften
wird es erwähnt,
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