Das Vermächtnis des Martí Barbany
beenden. Ich wünsche, dass Ihr lange Jahre für Eure Taten büßt: Ich verurteile Euch dazu, dass Ihr weiterlebt, dies aber unter solchen Bedingungen, dass Ihr tausendmal den Tod herbeiwünscht. Ich will Euch nicht wiedersehen, und Euch bekommt auch sonst niemand zu Gesicht, außer denen, die fortan Eure Schicksalsgefährten sein werden. Ihr wart für das Unglück verantwortlich, das über mein Haus hereingebrochen ist. Nicht einmal der Tod meiner lieben Frau hat mir größeren Kummer bereitet, und dafür werdet Ihr den ganzen Rest Eures Leben büßen, den Euch der Herrgott vergönnt.«
Nach diesen Worten befahl er, dass man das Urteil vollstrecke.
Da Edelmunda mit dem Führer der Wache, der an diesem Tag Dienst
hatte, seit Langem befreundet war, durfte sie unter dem Vorwand, ihre Wäsche zu packen, in ihr Zimmer gehen und einen großen Beutel holen, in dem sie alles Geld, das sie für ihr Alter zusammengespart hatte, und dazu ein von ihrem Vater geerbtes Siegel verwahrte. Rasch streifte sie sich den Rock hoch und schnürte den Beutel um ihre dicke Taille.
Die Zeit verging, während ihr Geist fieberhaft arbeitete. Draußen ritten ihre Begleiter, die kaum miteinander redeten. Die lange Strecke wirkte ermüdend, und der eine oder andere übel gelaunte Kommentar, den sie hörte, verriet ihr, dass sie sich kurz vor dem Ziel befanden. Nun ging es einen noch steileren Hang hinab. Die Bremsklötze quietschten, und die Kälte, die durch die Löcher in den Brettern eindrang, ließ ihre Glieder erstarren. Plötzlich schärften sich ihre Sinne. Der Karren war stehen geblieben. Draußen hörte man Rufe, als meldete sich ein Wächter an einem Burgturm und spräche mit dem Führer der Eskorte. Langsam öffnete sich die Wagentür, und das bärtige und müde Gesicht des Hauptmanns der Truppe tauchte im Licht einer Fackel auf, die ein Untergebener hielt.
»Zieht Euch das an.«
Gleichzeitig mit diesem Befehl warf er ein Kleiderbündel hinein.
Edelmunda hatte keine Zeit für ein Widerwort. Die Tür ging wieder zu, und abermals lag das Wageninnere in vollkommenem Dunkel.
Tastend ordnete sie die Sachen, die man ihr zugeworfen hatte. Sie legte sie auf die Bank und zog sich um, so gut sie konnte, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass ihr verborgener Schatz nicht zum Vorschein kam. Sie betastete die Kleidungsstücke, die man ihr gegeben hatte, und es kam ihr so vor, als wären sie rau und ordinär: Sie fühlten sich wie ein Sack an, und die Schuhe hatten Sohlen aus Espartogras.
»Ich bin fertig.«
Nach so vielen Stunden des Schweigens klang ihr die eigene Stimme fremd.
Die Tür ging wieder auf. Hart und scharf wurde der Befehl erteilt: »Aussteigen!«
Da sie so lange Zeit unbeweglich zugebracht hatte, stieg sie nur mit Mühe auf die Erde hinab. Die Stimme des Befehlshabers erklang wieder.
»Das hier ist Euer Ziel. Hier werdet Ihr fortan leben und auch sterben, wenn Gott nichts anderes verfügt.«
»Wo bin ich?«
Während der Mann die Füße in die Steigbügel setzte, antwortete er: »Ihr habt genug Zeit, das herauszufinden. Wir würden freilich niemals über diese Stelle hinausgehen, selbst wenn wir uns viel Mut angetrunken hätten.«
Nach diesen Worten verabschiedete er sich von dem am Weg stehenden Wächter und machte kehrt. Seine Leute folgten ihm.
Als der Karren und die Eskorte mit ihren Fackeln verschwanden, herrschten an diesem Ort wieder Stille und Dunkel. Die Nacht war stockfinster. Kein einziger Stern erschien am unheilschwangeren Firmament. Edelmunda zitterte vor Kälte. Der Posten, der mit ihrem bisherigen Wächter gesprochen hatte, zog sich in ein Holzhäuschen zurück, um von dort aus den schmalen Pfad zu beobachten. Dahinter sah man zwei kegelförmige Zelte, in denen, wie sie annahm, sich der Wachtrupp unterstellte. Sie wusste nicht, wo sie war und was die schreckliche Voraussage ankündigte, die der Führer der Eskorte ausgesprochen hatte, bevor er davonritt. Trotzdem glaubte sie, es sei sinnlos, auch nur zu versuchen, dem Posten ein einziges Wort zu entlocken. Deshalb ging sie weiter. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Im Hintergrund zeichneten sich die Umrisse eines Bergmassivs ab, das sie von allen Seiten umgab. Plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals. Ein Licht, zwei, sogar drei Lichter ließen sich in der Ferne erkennen! Edelmunda dachte nicht zweimal darüber nach und schwankte diesem Hoffnungsschimmer entgegen.
Je näher sie kam, desto deutlicher traten die Gestalten
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