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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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hervor, die das erste Feuer umringten. Ein Schatten schürte die Glut, über der ein Topf erwärmt wurde, während der andere Schatten einen groben Holzlöffel in der Hand hielt und das Essen umrührte. Der aufsteigende Duft ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Seit vielen Stunden hatte sie keinen Bissen zu sich genommen.
    Als ein Zweig knackte, alarmierte das die Köche. Die beiden Gestalten hoben den Kopf und blickten zu ihr. Im Schein des Lagerfeuers konnte sie erkennen, dass die beiden, die Kapuzen trugen, überstürzt ihre Sachen zusammensuchten und jeder den Topf an einem Henkel fasste. Sie verschwanden in einer der Höhlen, die sich am Fuß des Berghangs öffneten, und entzogen sich so ihren Blicken. Edelmunda kam zur Glut des verlassenen Lagerfeuers. Ihr lief es kalt über den Rücken, als sie spürte, dass mehrere Augenpaare sie aus den Höhlenöffnungen beobachteten. Unermessliche Freude ergriff sie. Sie war dort nicht allein! An
diesem Ort hausten andere Menschen. Ohne zu zögern, lief sie auf das Licht zu.
    »Kommt her! Seid barmherzig und helft einer armen Christin!«
    Ein entsetzlicher Ton, dessen Bedeutung sie genau kannte, ließ sie innehalten. Als die Leute in den Höhlen sie hörten, rasselten sie mit Knochenklappern und schlugen mit Stöcken auf Totenschädel, um sie darauf hinzuweisen, dass sie sich in einer Aussätzigenkolonie befand.
    In diesem Augenblick fielen ihr die Worte des Anführers der Eskorte ein, die sie zunächst nicht verstanden hatte, und der Satz hallte in ihrem Gehirn nach: »Wir würden freilich niemals über diese Stelle hinausgehen, selbst wenn wir uns viel Mut angetrunken hätten.« Ebenso begriff sie nun, was die ihr zugeteilten Kleider zu bedeuten hatten. Sack und Packtuch waren die besonderen Kleidungsstücke der Aussätzigen. Sie spürte, dass ihre Knie nachgaben, und sie verlor das Bewusstsein.
    Nach einiger Zeit – sie wusste nicht, wie lange es gedauert hatte – kam sie wieder zu sich. Sie merkte lediglich, dass etwas Feuchtes ihr Gesicht berührte. Als sie die Augen aufschlug, erblickte sie eine braun gekleidete Gestalt. Sie hielt einen Stock, an dessen Spitze ein feuchter Schwamm steckte, und rieb ihr sanft über die Stirn. Edelmunda richtete sich auf.
    »Wer bist du?«
    Der Schatten antwortete mit brüchiger und rauer Stimme: »Darauf kommt es nicht an.«
    »Wo bin ich dann?«
    »In der Aussätzigenkolonie am Hang des Berges Montseny.«
    Der Frau stockte das Blut in den Adern. Nun bestätigte sich, was ihr Verdacht gewesen war. Da begriff sie die schreckliche Botschaft, die Montcusís Worte enthalten hatten.
    Der Schatten sprach weiter: »Du musst ein furchtbares Verbrechen begangen haben, wenn man dich zu einer Strafe verurteilt, die schlimmer als der Tod ist.«
    Edelmunda schluchzte.
    »Meine Sünde ist, dass ich wie eine Hündin den Befehlen eines Herrn gehorcht habe, der mich auf diese Weise bestraft.«
    »Ein schlechter Herr ist das.«
    Die Frau hatte die Glut des Lagerfeuers angefacht. Schritt für Schritt näherten sich die vermummten Schatten, ohne den Lichtkreis zu betreten.
    »Wenn du Hunger hast, können wir dir zu essen geben. Wer an diesen
Ort kommt, zieht sich früher oder später die Krankheit zu, die alle peinigt. Von hier kann man nicht fort: Ein einziger Weg führt über die Berge, und er wird Tag und Nacht von Männern des Grafen bewacht, die gewissermaßen auch eine Strafe abbüßen. Die einen, weil sie im Kampf desertiert sind, und die meisten, weil sie jemanden im Streit getötet haben. Wenn du hier draußen bleibst, erfrierst du. Wenn du in die Höhlen gehst, stirbst du an Aussatz, aber später. Du wirst sagen, was dir lieber ist.«
    Edelmunda schluchzte. Dann protestierte sie: »In der Stadt gibt es Aussätzige. Sie kommen nach draußen, wenn es dunkel wird, und lassen ihre ausgehöhlten Kürbisse klappern.«
    »Sie müssen keine Strafe verbüßen. Wir sind hier als Verurteilte. Als wir in dieses Gefängnis kamen, waren wir nicht alle aussätzig. Erst hier haben wir die Krankheit bekommen.«
    »Aber das ist ja schlimmer als der Tod.«
    »Sieh es nicht so an. Man lebt, oder besser gesagt, man übersteht oder haust hier, denn das ist kein Leben, doch solange es dauert, beneidet keiner einen anderen: In der Stadt gibt es mehr geistig Aussätzige als hier. Wenn du dich daran gewöhnst, wirst du sehen, dass es zwischen uns keinen Neid gibt. Es gibt keine Herren oder Knechte, und alles gehört allen. Aber entscheide dich.«
    Edelmunda

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