Das Vermächtnis des Martí Barbany
da?«
»Don Martí ist in seinem Arbeitszimmer …«
»Ich muss ihn dringend sehen!«
»Kommt lieber in den großen Raum im ersten Stock, dort habt Ihr es bequemer.«
Der Priester folgte dem Verwalter durch die Gänge, die er so gut kannte, betrat den Saal und machte sich bereit, mit seinem Freund zu sprechen.
Dieser ließ nicht auf sich warten, und sein Gesichtsausdruck bekundete die Besorgnis, die die Mitteilung des Verwalters in ihm erregt hatte.
»Was ist geschehen, Eudald? Welch ernstes Problem führt Euch zu einer solch ungewöhnlichen Zeit zu mir?«
»Ihr sagt sehr richtig, etwas sehr Ernstes … Aber nehmen wir lieber Platz, denn die Erklärung kann lange dauern, und Ihr werdet mich sicher auffordern, ausführlich zu sein.«
Die beiden Männer setzten sich vor den erloschenen Kamin.
»Ich höre Euch zu, Eudald. Redet, Ihr spannt mich auf die Folter.«
»Ihr werdet Euch auf der Folter fühlen, wenn ich es Euch erzähle.«
»Ein Grund mehr, dass Ihr nicht länger zögert.«
»Gut, ich fange an. Wie Ihr wisst, wird unser Leben von den Zufällen
gelenkt, die für mich immer die Vorsehung sind, und heute Nachmittag wurde mir hierfür ein eindeutiger Beweis zuteil.«
»Bitte, haltet Euch nicht mit der Vorrede auf.«
»Heute hat mich die Gräfin ins Schloss bestellt. Ihr kennt sie ja, sie ist launisch und sprunghaft, und wenn ihr etwas im Kopf herumspukt, müssen wir alle zu ihrem Dienst bereitstehen.«
Martí nickte bestätigend.
»Als ich von der Besprechung kam, die nichts mit Euch oder dieser Sache zu tun hatte, hat mich Delfín zurückgehalten, ihr Hofnarr, der, so meine ich, viel mehr als das ist. Eines Tages wird ihm die Grafschaft für die Dienste danken, die er auf sehr diskrete Weise für die gute Regierung der Stadt geleistet hat und immer noch leistet. Ich weiß nicht, ob es an seiner Größe oder daran liegt, dass er so leicht in der Umgebung untertauchen kann, jedenfalls bin ich sicher, dass er die am besten informierte Person des Hofes ist. Er hat mich in die kleine Kammer geführt, die neben Almodis’ Kabinett liegt, und er hat mir eine überraschende Geschichte verraten.«
Martí konzentrierte sich ganz auf den Bericht, den ihm sein Freund und Wohltäter lieferte.
»Heute Morgen hatte ihn die Gräfin genötigt, mit den kleinen Grafen Versteck zu spielen, und er hatte sich in einer der Halbrüstungen verborgen, die den Trophäensaal des Schlosses schmücken. Dort hatte er sich verkrochen und sollte darauf warten, dass sie ihn vor dem Essen entdeckten. In dieser äußerst unbequemen Haltung harrte er aus, als ein Mann in den Saal geführt wurde, der, wie mir Delfín berichtet hat, ganz unheimlich aussah, ein Albino mit Augen von einer blassblauen, beinahe flüssigen Farbe, den er nie zuvor im Schloss gesehen hatte. Wenig später kam der Ratgeber für Versorgung, der den anderen sehr rücksichtsvoll behandelte. Beide setzten sich in die Nähe der Rüstung, und Delfíns scharfe Ohren, die es gewöhnt sind, zwischen Vorhängen zu lauschen, verfolgten das Gespräch, das ich Euch jetzt wiedergebe.«
Nun berichtete der Erzdiakon seinem Freund die Einzelheiten der Unterredung zwischen dem Ratgeber und seinem Spürhund.
»Aber leider konnte Delfín nicht das Ende der Unterhaltung verstehen, denn sie sind aufgestanden und haben sich entfernt, um das Gespräch an der Tür fortzusetzen, fern von den Ohren des Hofnarren. Begreift Ihr, welche Gefahr das alles heraufbeschwört?«
Martí erfasste sofort, welche Folgen es haben konnte, dass sein Feind so viel von ihm wusste.
»Das ist mir klar.«
»Der einzige Vorteil ist, dass er nicht weiß, dass Ihr es wisst.«
»Mich schüchtert er nicht ein, obwohl ich zugebe, dass er ein schlimmer Feind ist … Aber Ruth macht mir Sorgen.«
»An sie habe ich hauptsächlich gedacht, als ich so eilig zu Euch kam.«
»Wir müssen überlegen und sehen, welche Waffen uns bleiben.«
»Das habe ich schon getan.«
»Was ist Euch eingefallen?«
»Gehen wir der Reihe nach vor. Ruth hat noch beinahe zwei Wochen lang nicht gegen die Gesetze verstoßen. Also haben wir vierzehn Tage, um eine Lösung zu finden. Sobald das Urteil in Kraft tritt, bleiben ihr nur zwei Möglichkeiten: Entweder geht sie mit ihrer Mutter in die Verbannung …«
»Das könnt Ihr vergessen: Die Schwiegereltern ihrer Schwestern wollen sie nicht haben, und sie will auch nicht zu ihnen.«
»Die zweite Möglichkeit lässt sich etwas schwerer erklären.«
»Je eher Ihr anfangt, desto
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