Das Vermächtnis des Martí Barbany
noch, und erst weit entfernt entdeckte man ein Bauwerk, das stehen geblieben war. Grausam drückte Martí seinem Pferd die Sporen in die Weichen und galoppierte zum Haus. Ein Hund bellte. Martí sprang aus dem Sattel. Er hatte gerade erst zweimal an den Türklopfer geschlagen, als sich das Guckloch an der Tür öffnete und ihn die verängstigten Augen eines Pächters misstrauisch anstarrten. Die Riegel glitten hastig und kreischend zurück, und darum wusste er, dass man ihn erkannt hatte.
»Wo ist meine Mutter, Manel?«
»Oben, Herr. Sie liegt in unserem Schlafzimmer.«
Mit zwei Sprüngen hatte Martí das Obergeschoss erreicht. Er blickte in das einzige Zimmer und entdeckte eine Frau, die fast nicht wiederzuerkennen war. Sie lag auf einem bescheidenen Lager. Ihre grauen Haarsträhnen hingen wirr über der Bettdecke, und sie rang mühsam nach Luft.
Martí kniete bei ihr nieder, ergriff ihre Hand, die an einer Seite herabhing, und sprach sie mit leiser Stimme an.
»Was haben sie Euch angetan, Mutter, was haben sie nur getan?«
Die Frau hob die Lider und drehte ihrem Sohn den Kopf zu, während sich ihre Augen auf das Gesicht des Sprechenden richten wollten.
Etwas wie ein Lächeln erschien auf ihren verdorrten Lippen.
»Ich wusste, dass du kommst, Martí. Jetzt kann ich ruhig sterben.«
»Hier wird niemand sterben, Mutter.«
Eine Pause trat ein. Die Bettdecken hoben und senkten sich bei den erschöpften Atemzügen der Frau.
Ein leichter Händedruck seiner Mutter zeigte Martí, dass die Sterbende etwas sagen wollte.
»Es waren sechs oder sieben. Sie trugen Kapuzen … Sie kamen mitten in der Nacht … Sie ritten auf Pferden und hatten brennende Fackeln in der Hand … Zwei von ihnen verschütteten eine Flüssigkeit, bevor die anderen eingriffen … Es war ein Höllenfeuer, und einer, der wie Satan aussah, war mitten in dem Haufen … Unsere Leute wollten das Feuer mit Wasser und Rutenschlägen löschen, aber sie schafften es nicht … Das war entsetzlich … Das Dach des Pferdestalls ist auf den armen Mateu gestürzt, als er die Tiere losbinden wollte …«
Ein plötzlicher Hustenanfall hinderte die Frau am Weitersprechen.
»Mutter, habt Ihr ein Gesicht erkannt? Etwas, ein Indiz, das mir eine Spur liefert?«
»Die Augen … Martí, die Augen des Mannes, der offenbar ihr Anführer war … Ihm ist die Kapuze heruntergerutscht … Sie waren blassblau … Er hatte Haare, die heller als Stroh waren, … und ein pockennarbiges Gesicht. Aber warte nicht länger, mein Sohn, und hole den Pfarrer. Ich muss dringend mit Gott sprechen, und ich möchte nicht, dass es zu spät ist.«
Als Pater Llobet, der an der Tür wartete, diese Worte hörte, bahnte er sich einen Weg zum Bett, während er allen Übrigen mit einer Handbewegung befahl, sich zurückzuziehen. Martí überließ ihm seinen Platz und stellte sich diskret an eine Seite. Der Geistliche setzte sich an den Bettrand und nahm die Hand der Sterbenden. Der Gesichtsausdruck der Frau zeigte Eudald, dass sie ihn erkannt hatte, obwohl so viel Zeit vergangen war.
»Ihr seht ja, Emma, wie Gott der Herr es fügt, dass sich unsere Wege wieder einmal kreuzen.«
»Danke, dass Ihr Euch so viele Jahre um mein Kind gekümmert habt.«
»Viel besser hat sich Euer verstorbener Mann um mich gekümmert. Ich versuche nur, eine Schuld auszugleichen.«
»Zu ihm komme ich, wenn er nicht in der Hölle ist.«
»Dort ist niemand. Es gibt sie, aber sie ist leer. Der Herr liebt seine Kinder über alle Maßen, und er erlaubt nicht, dass auch nur ein Schäflein verloren geht.«
Der Atem der Frau setzte immer öfter aus.
»Ich erteile Euch die Absolution.«
»Ich habe Euch nicht meine Sünden gebeichtet.«
»Ihr habt keine Sünden.«
»Doch, Pater. Ich habe viel gehasst.«
»Und wer nicht, meine Tochter?«
Emma schloss die Augen, während ihr Eudald die Absolution erteilte.
Martí kam auf der anderen Seite heran und ergriff ihre rechte Hand.
Seine Mutter blickte ihn einen Augenblick fest an.
»Ich hätte es gern gesehen, wenn ich aus dieser Welt ginge und wüsste, dass du mit einer Frau zusammen bist, die mir Enkel schenkt.«
Da war sich Martí auf einmal ganz sicher, dass es nur eine Frau auf der Welt gab, mit der er Kinder haben wollte. Aber Ruth, wie ihm Llobet unterwegs erklärte, hatte nicht in die ihr angebotene weiße Ehe eingewilligt, und sie hatte sein schützendes Haus verlassen, um ihn nicht zu gefährden.
Die Sterbende murmelte: »Gott segne dich.« Sie schloss
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