Das Vermächtnis des Martí Barbany
schneller werden wir fertig.«
»Wenn sich Ruth zu unserer Religion bekehrte, und selbst wenn es nur zum Schein wäre, und ein Christ sie heiratete, wäre sie Christin und gehörte außerdem zur Familie ihres Gatten, und dann hätte sie kein Urteil missachtet.«
Martí begriff sofort, was hinter Llobets Vorschlag steckte.
»Der Schwur, den ich Baruch geleistet habe, schließt diese Möglichkeit aus.«
»Nicht, wenn ich Euch von diesem Schwur freispreche, um ein größeres Übel zu verhüten. Unsere erste Pflicht ist, Ruth zu retten. Euer Schwur lässt sich aufheben. Wenn wir nicht tun, was ich Euch vorschlage, muss das Mädchen in die Verbannung gehen, oder sie wird eingesperrt …«
»Und was sagt Euer strenges Gewissen, wenn Ihr in dieser Weise gegen ein Gesetz verstoßt, so als hättet Ihr Eure Grundsätze vergessen?«
»Ich übertrete sie, aber wenn Ruth einwilligt, sich zum Schein bekehren zu lassen, gebe ich mich für die Komödie her und taufe sie, um ihr Leben zu retten, damit sich der restliche Plan ausführen lässt. So wie die Dinge jetzt liegen, seid Ihr alle in Gefahr.«
»Und wie sieht der restliche Plan aus?«
»Offenkundig müsst Ihr sie heiraten, und zwar, bevor das Urteil in Kraft tritt. Wenn sie Eure Frau ist, betrifft die Verbannung sie nicht. Ihr wisst ja, wie die Gesetze sind. Eine Jüdin, die sich bekehrt und einen Christen heiratet, ist in jeder Hinsicht eine Christin, und kein Gesetz, kein Befehl oder Urteil, die die hebräische Gemeinde betreffen, geht sie etwas an. Ich verlange von Euch eine einzige Bedingung.«
»Welche?«
»Das hebräische Gesetz erkennt die Ehe nicht an, solange sie nicht vollzogen ist. Darum dürft Ihr nicht mit ihr schlafen. So wird alles erfüllt, ohne dass man sich an einer der beiden Religionen versündigt, und der Schwur, den Ihr Baruch geleistet habt, bleibt bestehen. Wenn das Gewitter vorüber ist, könnt Ihr sie verstoßen und als Grund angeben, dass sie sich geweigert hat, die Ehe zu vollziehen. Auf diese Weise seid Ihr beide frei.«
Martí dachte einige Augenblicke nach.
»Ich habe nichts dagegen, Eudald. Aber wir müssen uns ihr Einverständnis holen.«
»Macht Euch keine Sorgen, ich rede mit Ruth. Nehmt Ihr an?«
»Selbstverständlich.«
»Dann entbinde ich Euch in diesem Augenblick von Eurem Schwur und bitte Euch, dass Ihr sie als falsche Neubekehrte heiratet und ihr gestattet, in Eurem Haus weiter ihre Riten zu befolgen. Jetzt müssen wir uns um dieses dringende Problem kümmern. Das Übrige liegt in Gottes Hand …«
Noch in derselben Nacht kam Llobet mit dem Mädchen unter den Kolonnaden der Terrasse im zweiten Stock zusammen, auf die alle großen Schlafzimmer hinausgingen. Nach dem Tod ihres Vaters war Ruth deutlich abgemagert. Sie trug ein weißes Kleid und wirkte wie ein Gespenst. Eudald erwartete sie, und ihm war klar, welche Verantwortung er in diesem Moment übernahm, doch er wusste auch, dass er richtig handelte, denn es war ja seine erste Pflicht, seinen Nächsten zu lieben. Ein von einem durchsichtigen Hof umgebener Mond sollte der stumme Zeuge einer Entscheidung werden, die das Leben zweier Menschen ändern würde.
Die junge Frau kam zu ihm, und mit einer vom Weinen erstickten Stimme fragte sie: »Ihr habt mich rufen lassen?«
»Ja, Ruth. Setz dich neben mich, und höre aufmerksam zu.«
Der Geistliche, der sie kannte, seitdem sie auf allen vieren durch den Garten und zwischen die Beine ihres Vaters kroch, sagte immer noch »du« zu ihr.
»Du siehst sehr schlecht aus, Ruth. Dein Vater hätte dich nicht gern in diesem Zustand gesehen.«
»Mein Vater, Don Eudald, kann mich nicht mehr in diesem oder einem anderen Zustand sehen.«
»Gewiss, doch ebenso, wie er sein Schicksal erfüllte, indem er dir seinen letzten Willen mitteilte, wie er es für seine Pflicht hielt, muss es gerade deine Pflicht sein zu leben, weil dies sein Wunsch war, bevor er sein Leben opferte.«
»Ich kann nichts tun. Mir fällt ein, wie oft ich ihn betrübt habe, und ich würde mein halbes Leben dafür hingeben, wenn ich mit ihm eine Weile reden dürfte. Ich war keine gute Tochter, Pater, und obwohl er mir verziehen hat, weiß ich, dass ich die Liebe nicht gebührend erwidert habe, die er mir immer überreichlich zuteil werden ließ.«
»Auch wenn du es nicht glaubst, er sieht dir hinter diesem Mond zu, und um ihm gefällig zu sein, musst du tun, was er bestimmt hat. Außerdem musst du noch etwas bedenken, und das ist Martís Sicherheit.«
Als sie
Weitere Kostenlose Bücher