Das Vermächtnis des Martí Barbany
diesen Namen hörte, drang ein heller Schimmer in ihren Geist, und in ihren Augen spiegelte sich ein Interesse, das es vorher nicht gab.
»Er hat euren Hausschlüssel geholt, so wie es euer Vater von ihm erbeten hatte.« Der Erzdiakon atmete tief ein, bevor er weitersprach. »Ruth, alles ist schwer. Auf der einen Seite müssen wir gewiss dein Leben schützen, und auf der anderen vergisst Martí nicht den Schwur, den er deinem Vater geleistet hat, bevor dieser starb.«
»Ich verstehe Euch nicht.«
Nach einer Weile hatte ihr Eudald die ganze Intrige, die Delfín aufgedeckt hatte, und die Gefahren erklärt, die sie bedrohten, außerdem alles, was er zusammen mit Martí plante.
Mit einem Gesichtsausdruck, den der Geistliche nie zuvor bei ihr bemerkt hatte, antwortete Ruth: »Gebt acht, Pater Llobet. Hat Euch Martí gesagt, dass mein Vater vor seinem Tod mit mir allein gesprochen hat? Ich werde seine Worte nie vergessen. Er hat mir gesagt, dass er sein Schicksal auf sich nehme, weil er im Innern wisse, dass er ehrlich gehandelt habe, und er hat mich gebeten, dass ich das Gleiche tun solle, was
auch immer geschieht.« Ruth machte eine Pause, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Nun gut, ich will Euch etwas sagen, wovon ich weiß, dass Euer Herz es seit Langem kennt. Seitdem ich Martí zum ersten Mal gesehen hatte, habe ich mein ganzes Leben der Liebe zu ihm gewidmet, beim Wachen und Schlafen habe ich von ihm geträumt, ob er da war oder nicht. Ich weiß, dass so etwas selten geschieht, und das noch weniger, wenn man ein so kleines Mädchen ist, wie ich es damals war, aber es ist geschehen und unabänderlich. Martí ist mein Leben und mein Leitstern. Jetzt bietet Ihr mir an, dass ich vor den Menschen seine Frau werde, etwas, was all meine Träume wahr machen würde … Unter anderen Umständen.«
»Was meinst du damit?«
Ruths Gesicht wirkte nun heiter und schön, und ihr Ton ließ keine Widerrede zu.
»Ich werde nicht im Gegensatz zu meiner Wahrheit leben, Pater Llobet. Wenn mich Martí liebt und mich zu seiner Frau machen will, bin ich die glücklichste Frau der Welt, aber ich stimme keiner Scheinehe zu, obwohl ich mich dann von ihm trennen muss. Außerdem will ich ihn nicht in Gefahr bringen, weil er das Gesetz übertritt und eine Verbannte bei sich aufnimmt, und in ein paar Tagen bin ich das …«
»Ruth, überleg es dir gut …«
»Es gibt nichts zu überlegen, Pater. Ich habe mich entschieden. Aber ich bitte Euch um einen letzten Gefallen: Meine Leute wollen mich nicht mehr haben, und ich möchte meinen Schwestern oder irgendeinem anderen nicht zur Last fallen. Ich will mich nicht weiter zu einer Religion bekennen, die mich verstößt: Das ist meine Wahrheit, und ich weiß, dass mein Vater mit ihr einverstanden wäre. Ich bitte Euch, tauft mich.«
Mit zitternder Hand und bedrücktem Herzen, weil ihn der Mut des Mädchens überwältigte, erfüllte Pater Llobet ihre Bitte.
An diesem Nachmittag, bevor Martí von seinen Geschäften heimkam, verließ die schlanke, schwarz gekleidete Ruth zusammen mit dem guten Priester das Haus bei der Sant-Miquel-Kirche.
Als Martí zurückkehrte, erwartete er, dort den Geistlichen zu finden, damit er ihn über das Gespräch mit Ruth unterrichtete. Stattdessen teilte ihm der betrübte Omar mit, dass Ruth fortgegangen sei. Allerdings hatte ihm der Priester eine Nachricht hinterlassen, dass er sich keine Sorgen machen solle, denn er werde ihm noch in dieser Nacht alles erklären.
Als sich Martí noch nicht von seiner Überraschung erholt hatte, unterbrach die aufgeregte Stimme Andreu Codinas seine Grübeleien: »Herr, es ist ein Bote aus Empúries gekommen, und er hat etwas gesagt, bevor er ohnmächtig vom Pferd fiel.«
»Was hat er gesagt? Um Gottes willen, rede, Andreu!«
»Herr, offenbar hat man das Land bei Eurem Haus in Gerona verbrannt. Mateu ist tot, und Eurer Mutter geht es sehr schlecht, weil sie so viel Rauch eingeatmet hat.«
108
Der Abschied
S ie ritten Tag und Nacht und wechselten unterwegs die Pferde, bis sie am nächsten Abend im Hof der Familie Barbany eintrafen. Martí ritt an der Spitze, und Llobet und Jofre kamen hinter ihm. Lange bevor ihre Augen von einer Anhöhe aus die Katastrophe wahrnahmen, spürten sie den Rauch und den Geruch der verbrannten Erde. Von den Gebäuden waren nur verkohlte Reste übrig: von den Pferde- und Schweineställen, den Scheunen, der Tischlerei und, was schlimmer war, dem Wohnhaus. Die Wälder ringsum rauchten
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