Das Vermächtnis des Martí Barbany
Ihr verstehen werdet, habe ich jenes schlechte Weib von ihr getrennt, und da ich es als eine Sklavin ansah, denn dies und nichts anderes war ja der Sinn des Geschenks, ließ ich die Frau einsperren und übte mein Recht aus, sie zur Strafe, die das Gesetz für untreue Sklaven zulässt, zu blenden und zum Schweigen zu bringen. Nach dem Tod Laias, die sich in ihrer Güte immer für die Sklavin einsetzte, hatte es keinen Sinn, ihr die Rückkehr zu erlauben, und ich ließ sie in Haft, damit sie ihre Strafe verbüßte.
Wie groß sollte meine Überraschung sein, als ich eines Tages erfuhr, dass eine von Barbany geführte Bande das Haus gestürmt hatte, wo ich sie eingeschlossen hielt, und dass sich diese Leute erdreistet hatten, die Sklavin zu befreien, wobei man den Verwalter Don Fabià von Claramunt im Schutz der Nacht überwältigte! Gestattet mir, eine Frage zu stellen: Wenn sich jemand anmaßt, das Recht auf seiner Seite zu haben, warum kommt er dann nachts wie ein Dieb und überfällt heimtückisch einen Privatbesitz, anstatt am helllichten Tag zu erscheinen und in angemessener Form sein Recht zu beanspruchen? Ich überlasse es Euren Ehren, sich diese Frage zu stellen, und ich fordere Euch auf, über den Sachverhalt nachzudenken.
Dies ist vorläufig meine Antwort. Ich behalte mir jedoch vor, auch das Ende dieser Geschichte zu erzählen, um auf die Anschuldigungen einzugehen, die man gegen mich erhebt.«
Fortuny meldete sich: »Der Kläger soll auf die Antwort eingehen und sich auf das Thema beschränken, bevor er zum zweiten Punkt kommt.«
Martí beobachtete von seinem Platz aus die Gesichter des Publikums, und er merkte, dass Montcusís geschickte Antwort die Anwesenden tief beeindruckt hatte. Er bekam einen neuen Fieberanfall und hatte eine böse Vorahnung. Er erhob sich von seinem Sitz und ging langsam zum Pult. In der Hand hielt er Aixas Freilassungsurkunde.
»Ich will mich bemühen, kurz zu sein und einen Punkt aufzuklären, den mein Gegner geschickt in der Schwebe gelassen hat: Ich habe nie davon gesprochen, eine Sklavin zu verschenken. Wenn ich so etwas getan hätte, wäre ich dann nicht gewiss den Sitten und Gebräuchen gefolgt und hätte die Sklavin zusammen mit dem Dokument übergeben, das ihren Kauf beglaubigt, falls ihr neuer Herr sie weiterverkaufen möchte? Wenn ich den normalen Weg gewählt und die Frau zurückgefordert hätte, ist es dann nicht weniger gewiss, dass ich mich dem Risiko ausgesetzt hätte, dass sie verschwand oder, noch schlimmer, dass man ihr das
Leben nahm, damit von ihr keine Gefahr mehr ausging? Dies und nichts anderes ist der Grund, warum ich nachts den Ort aufgesucht habe, wo sie eingesperrt war, ohne dass ich den Besitz oder die Personen dort geschädigt hätte. Ich trug das betreffende Dokument bei mir, das ich jetzt vorweise, und habe vom Verwalter des Ortes, Don Fabià von Claramunt, verlangt, das er sie mir übergeben sollte.«
Nach einer Pause griff Fortuny wieder ein.
»Türhüter, bringt das Dokument, das der Aussagende vorlegt, zum Tisch, und für morgen soll man Don Fabià von Claramunt vorladen, der vor dem Sitzungsbeginn in meinem Amtszimmer zu erscheinen hat. Die Verhandlung wird bis morgen unterbrochen.«
Alle standen auf und warteten, bis die Grafen und ihre Räte den Saal verließen. Dann gingen die Leute hinaus und kommentierten dabei die Höhepunkte der leidenschaftlichen Aussprache. Ruth, der es nicht gelungen war, den Saal zu betreten, hatte sich an der Tür verborgen und bekam einige Gesprächsfetzen mit. Sie erfuhr, dass Martí verletzt war, und das gab ihr einen Stich ins Herz. Sie nahm sich fest vor, am nächsten Tag in den Verhandlungsraum hineinzugelangen, nur damit sie ihn sehen konnte.
Der Ratgeber entfernte sich im Kreis seiner Schützlinge. Er lächelte nach allen Seiten und drückte viele Hände, während sich der fiebernde Martí dem zur Vorhalle drängenden Menschenstrom anschloss. Dort erwartete ihn Pater Llobet, der über Martís schlechtes Aussehen beunruhigt war. An der Rathaustür beobachtete eine Frau die beiden aufmerksam, und als sie auf die Straße hinaustraten, ging sie in vorsichtigem Abstand hinter den Männern her, bis sie den Hof vor Martís Herrenhaus betraten. Als sie sich vergewissert hatte, dass dies der richtige Ort war, drehte sie sich um und tauchte in der Menge unter.
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Der zweite Tag
D ie Menschenmenge hatte womöglich noch zugenommen, oder wenigstens sah es so aus. Auf der Tribüne der Bürger konnte keine
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