Das Vermächtnis des Martí Barbany
vorbereitet war, wie es Manipoulos wollte, schnitt er sorgfältig die Wundränder ein, bis das gesunde Fleisch offen lag. Martí stöhnte leise und biss auf den Holzpflock. Schließlich fiel er in Ohnmacht.
»So ist es besser«, kommentierte Manipoulos, während er die Blutegel äußerst behutsam an den Wundrändern ansetzte und zusah, wie sie sich mit Martís vergiftetem Blut vollsogen und sich dabei wie kleine Luftballons aufblähten. Dann beschmierte er die Ränder und die Innenseiten des Einschnitts mit Salbe und bedeckte das Ganze mit einem sauberen Leinenlappen.
Hierauf begutachtete er aufmerksam sein Werk und erklärte nachdrücklich: »Er wird jeden Tag einen Fieberanfall haben, bis er die Ansteckung überwindet. Die ersten Stunden sind die schlimmsten, und später kann er alle drei oder vier Jahre einen Rückfall bekommen, wenn ich mich nicht irre. Auf dem Meer kann das Gift der Medusen, Rochen oder Muränen die gleiche Wirkung haben.«
»Wie haben sie ihm das Gift beigebracht, was meint Ihr?«, fragte Omar.
Diesmal antwortete Jofre.
»Man gewinnt es aus Spinnen oder Skorpionen, und damit bestreicht man Dolche und Pfeilspitzen. Auf diese Weise ist man immer erfolgreich, wenn man zusticht. In Hispanien hat man das Gift der Schwarzen Witwe benutzt. Das Gift dieser Spinne kann unheilbar wirken. Das hat mir Eudald Llobet erzählt. Als er Soldat war, hat man es schon angewendet.«
Martís Stimme ließ sich fast unhörbar vernehmen.
»Ich muss ausruhen, Freunde. Wenn ich heute Nacht nicht sterbe, muss ich morgen im Rathaus sein. Meine Angelegenheit duldet keinen Aufschub …«
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Die ersten Schritte
M artí stellte sich an sein Pult und antwortete auf Ersuchen des Sekretärs: »Meine Herren Richter, hochwürdigste Hofräte! Ich bitte, meine Verspätung zu entschuldigen. Ich wurde heute Morgen bei der Pia Almoina überfallen und verwundet. Die Hand, die es getan hat, ruht in Frieden, aber nicht der Geist des Anstifters, und ich bin sicher, dass dies jemand ist, der mich seit Langem verderben will.«
Nach den Worten des Bürgers Barbany breitete sich allgemeines Gemurmel aus. Alle Blicke konzentrierten sich auf das Pult, an dem der Wirtschaftsberater stand. Dieser war erbleicht, und seine Augen verrieten die Überraschung, die ihm Martís Anwesenheit und Äußerungen bereiteten. Trotzdem konnte er sich beherrschen, und er tat so, als hätte das alles nichts mit ihm zu tun.
Richter Frederic Fortuny stand auf, schlug mit dem Hammer auf den Tisch und verlangte Ruhe.
»Die Anwesenden sollen sich erheben, um Ramón Berenguer und Almodis de la Marche zu empfangen, die hochedlen Grafen von Barcelona, Gerona und Osona!«
Als sich alle erhoben und die Herren den Hut abgenommen hatten, betrat das Grafenpaar feierlich und majestätisch den Saal und setzte sich sogleich auf seine Throne. Ramón trug einen scharlachroten, mit Altgold bestickten Überrock, karmesinrote Beinkleider und einen Mantel mit Hermelinrand. Seinen Kopf schmückte die Grafenkrone, deren Mitte mit rotem Samt bedeckt war. Almodis prangte in einem smaragdgrünen Kleid mit perlgrauen Ärmeln und einem silberfarbenen Gürtel, der ihre Hüften umgab, vorn herabhing und ihre prachtvolle Figur betonte. Auch sie trug eine Grafenkrone, deren Spitzen mit kleinen Perlen besetzt waren. Nachdem sich der Graf gesetzt
hatte, nickte er leicht mit dem Kopf und erteilte so die Erlaubnis, die Lis honoris zu eröffnen.
Richter Fortuny erklärte weiter: »Erlauchte und geliebte Grafen, vortreffliche Mitglieder der Curia Comitis , hochwerte Adelsgeschlechter, Geistliche der Stadt und Bürger Barcelonas! Es beginnt die Lis , die der Bürger Martí Barbany von Montgrí gegen den ehrenwerten Bernat Montcusí i Palau beantragt hat. Nehmt Eure Plätze ein, und bewahrt Schweigen.«
Röcke raschelten und Metall klirrte, als Adlige, Geistliche und Bürger ihre Plätze einnahmen. Dann breitete sich beängstigende Stille im Saal aus.
Richter Frederic Fortuny überließ Eusebi Vidiella, der als Sekretär wirkte, seinen Platz und setzte sich an den Tisch. Vidiella ordnete an: »Der Kläger soll sich erheben.«
Martí stand von seinem Tisch auf und ging zum Pult. »Der Antragsteller muss sich an die Regeln halten, die für derartige Prozesse gelten. Sie betreffen ausschließlich die Ehre der Personen und solche Fälle, die nicht nach den allgemeinen Gesetzen unserer Usatges beurteilt werden. Nur wenn einer Prozesspartei ein offenkundiger Meineid nachgewiesen wird,
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