Das Vermächtnis des Martí Barbany
dem Abt Sant Genís, die Neuigkeit mitzuteilen, denn in dessen Auftrag hatte er die Räume des vornehmen Gastes überwacht.
Unverzüglich stellte sich der Zwerg dem Grafen vor.
»Herr, ich bin Delfín, der Sekretär der Gräfin Almodis und ihr einziger Vertrauter. In ihrem stürmischen Leben habe ich sie getreulich begleitet, wobei ich manchmal sogar mein eigenes Leben in Gefahr brachte. Zusammen mit ihrer Kinderfrau bin ich der einzige Überlebende des Gefolges, das sie begleitet hat, als ihre erste Ehe vereinbart wurde und sie die Marche verließ.«
Nachdem sich der Zwerg vorgestellt hatte, ließ Ramón, der etwas verwirrt war, einige Zeit verstreichen. Da er jedoch an die höfischen Intrigen seines eigenen Lebenskreises gewöhnt war, beschloss er, vorsichtig zu sein, weil er befürchtete, dass ihm jemand eine Falle stellen wollte, die ihn mit dem Toulousaner Hof grundlos verfeinden würde.
»Erzähle, Männlein, wer hat dich wirklich geschickt? Du siehst eher aus wie ein Spaßmacher als wie ein Vertrauter: Gib mir einen Beweis, dass du tatsächlich bist, was du behauptest, und dass dein wahrer Auftrag kein anderer ist als der, den du mir einreden willst.«
Der Zwerg fühlte sich gereizt, und das mehr, weil ihm der Graf misstraute, als wegen der Anrede, mit der er ihn bezeichnet hatte.
»Ich mag von kleiner Gestalt sein, Herr, aber ich habe stets gehört, dass man die wahre Größe eines Menschen daran misst, wie weit der Abstand zwischen seinen Augenbrauen und seinem Haaransatz ist. Ich habe eine breite Stirn, und ich glaube, dass in meinem Kopf ein Gehirn untergebracht ist, das weitaus besser als das vieler gekrönter Häupter arbeitet, mögen sie nun die Krone eines Grafen oder eines Herzogs tragen. Wenn Ihr mir glaubt, erkläre ich den Rest, sonst gehe ich dorthin zurück, wo ich hergekommen bin.«
Ramón begriff, dass es für ihn ungünstig wäre, sich mit diesem winzigen
und empfindlichen Persönchen zu verfeinden, und darum änderte er nun seinen Ton.
»Wie du verstehen wirst, ist es nicht alltäglich, dass, während ich in einem adligen Haus eingeladen bin, tief in der Nacht ein Diener in meine Gemächer kommt, der sich so vorstellt, wie du es getan hast.«
»So etwas ist auch nicht nach meinem Geschmack, und wer seinen Rücken der Peitsche des Scharfrichters, wenn nicht Schlimmerem ausliefert, falls er ertappt wird, seid nicht gerade Ihr. Natürlich, wenn Ihr mir nicht vertraut, braucht Ihr nur die Wachen zu rufen.«
»Gib mir einen Beweis.«
»Nun gut, Herr, ich teile Euch etwas mit, was nur zwei Menschen wissen können, und falls noch jemand etwas davon weiß, so hat einer der beiden es weitererzählt. Da Ihr es offensichtlich nicht seid, versteht Ihr sicher, dass es eine unumstößliche Wahrheit ist, wenn ich Euch gesagt habe, dass ich der Vertraute der Gräfin bin.«
Delfín machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, und danach setzte er seine Erklärungen fort.
»Heute Nacht hat man Euch einen Brief übergeben, in dem man Euch mitteilte – wobei man sich Eurem Wohlwollen und der Gefahr auslieferte, sich auf schrecklichste Weise lächerlich zu machen -, dass Ihr von dem göttlichsten Geschöpf geliebt werdet, und außerdem hat man Euch darin meinen Besuch angekündigt. Bevor ich weitererzähle, muss ich Euch etwas erklären. Die Gräfin, der ich mit allen Kräften meines kleinen Körpers treu diene, ist der unglücklichste Mensch auf Erden. Sie hat die Liebe nie kennengelernt, und ihre Ehen waren eine Staatsangelegenheit. Sie hat Kinder geboren, die sie liebt, doch sie ist bereit, für Euch alles aufzugeben, wenn ihre Gefühle erwidert werden.«
Als der Graf dies hörte, wich ihm alles Blut aus dem Gesicht. Das Männlein sprach weiter.
»Wenn Ihr zustimmt, setze ich meinen Auftrag fort, wie es den Anweisungen meiner Herrin entspricht. Sonst gehe ich und teile ihr Eure Antwort mit. Aber wenn Ihr mich täuscht und sie im Innersten verletzt, indem Ihr sie als einen Zeitvertreib missbraucht, dann müsst Ihr mich als Euren Feind ansehen.«
Ramón hätte beinahe auf diese Dreistigkeit geantwortet, doch er hielt sich zurück, weil er nun die Bestätigung dieser wunderbaren Neuigkeit erhalten hatte. Wenn das Männchen den Inhalt des Briefes kannte, war dies ein unmissverständliches Zeichen, dass es tatsächlich einen Auftrag
erfüllte. Und dass er selbst sich als den Glücklichsten aller Sterblichen betrachten durfte.
»Ich glaube dir. Sobald ich sie heute Morgen angeblickt hatte,
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