Das Vermächtnis des Martí Barbany
Türglocke und warteten.
»Was ist das?«, wollte der junge Mann wissen und zeigte auf eine unauffällige Klappe an der rechten Oberseite des Türsturzes, die offenbar ein Versteck enthielt.
»Hinter dieser Klappe ist die Mesusa verborgen.«
Martí wollte gerade eine weitere Frage stellen, als sich das Guckloch an der Tür öffnete und die forschenden Augen eines Dieners, der sie misstrauisch musterte, hinter dem eisernen Schutzgitter auftauchten.
»Wer seid Ihr und was wollt Ihr?«
»Ist Baruch Benvenist zu Hause?«, fragte Pater Llobet.
»Das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Es hängt davon ab, wer ihn sprechen will und warum.«
Der Geistliche wusste, dass die Juden des Call bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, bevor sie Fremden ihre Tür öffneten. Martí wunderte sich allerdings über das schroffe Benehmen des Dieners, denn in den Dörfern verhielt man sich anders.
Der Erzdiakon bemerkte Martís Erstaunen und stellte fest: »Das ist keine Art, Besucher zu behandeln, und es widerspricht der traditionellen hebräischen Gastfreundschaft.«
»Ich halte mich lediglich an meine Anweisungen: Wir leben in schlimmen Zeiten. Erst gestern hat es einen Toten bei einem Streit gegeben, gleich hier neben dem Haus. Ich bin nur ein gehorsamer Diener.«
»Schon gut. Sagt Eurem Herrn, dass Don Eudald Llobet wie vereinbart zusammen mit dem Sohn eines guten Geschäftsfreunds von ihm gekommen ist.«
»Seid so freundlich und wartet hier.«
Bevor der Domestik das Guckloch schloss und verschwand, wollte er doch etwas mehr Respekt zeigen, weil er dachte, wenn sich sein Herr mit diesen Leuten verabredet habe, seien sie wichtige Persönlichkeiten, vor allem der Geistliche, und deshalb könne ihn sein misstrauisches Benehmen bald in Schwierigkeiten bringen. Die Wartezeit war kurz, und nach lautem Geklirr von Riegeln und Ketten ging ein Türflügel auf. Nun zeigte sich der Diener, der sich jetzt weitaus herzlicher als im ersten Augenblick benahm.
»Der Herr sagt, ich soll Euch ins Arbeitszimmer führen.«
Die Besucher traten ein. Der Diener schloss die Tür und führte die beiden durch einen langen Gang zu den Geschäftsräumen des Geldverleihers, die den hinteren Teil des Hauses einnahmen. Er nutzte die Gelegenheit, um sein vorheriges Verhalten zu erklären.
»Ihr müsst mich verstehen, in den heutigen Zeiten ist jede Vorsichtsmaßnahme noch zu wenig.«
»Ihr braucht Euch nicht zu rechtfertigen. Wir verstehen Eure Haltung vollkommen und freuen uns, dass sich mein lieber Freund auf den Eifer eines so gewissenhaften Dieners verlassen kann.«
Pater Llobet machte sich gern bei Dienstboten beliebt. Er war zu dem Schluss gekommen, dass Untergebene oft die beste Möglichkeit waren, wenn es galt, sich irgendwo Zugang zu verschaffen.
Der Raum, in den man sie führte, war groß und mit erlesenem Geschmack eingerichtet. Vor den mit Pergamenten und Talmudtexten vollgestopften Bücherbrettern sah man ein schön gestaltetes Eichenpult, auf dem eine mit prächtigen Silber- und Lederintarsien verzierte Thora lag, und auf der anderen Seite stand eine Menora auf dem großen Schreibtisch, sodass beides eine symmetrische Einheit bildete. Hinter dem mit feinem und gepunztem, gewiss aus al-Andalus eingeführtem Korduanleder bezogenen Sessel des Geldverleihers öffnete sich ein dreiflügeliges Fenster, von dem aus man ein weites Grundstück erblickte, das offenbar ein Obstgarten war. Dort hob sich der Rand eines artesischen Brunnens ab, der auf einem hohen Steinfundament errichtet war. Der Diener zog sich zurück und ließ sie darauf warten, dass der viel beschäftigte Mann zu ihnen kam.
Die beiden Ortsfremden sahen einander erstaunt an, als sie eine autoritäre Stimme von draußen hörten, die zwar von den prächtigen Vorhängen des Zimmers und den vielen Büchern an den Wänden gedämpft wurde, aber, so schien es, einem anderen Vorwürfe machte. Dann vernahmen sie sich nähernde Schritte und das Rascheln eines dicken und wertvollen Stoffes. Unvermittelt ging die Tür auf, und im Türrahmen erschien die Gestalt Baruch Benvenists. Er war ein kleiner und schmächtiger Mann mit sehr weißer Haut, klugen Äuglein, feinen Gesichtszügen und einem schneeweißen Bart. Er runzelte die Stirn und betrachtete die beiden aufmerksam, mit kaum verhohlener Neugier, bis sein Blick bei Eudald Llobet verharrte, den er sofort wiedererkannte. Dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck. Er streckte dem Geistlichen die gepflegten kleinen Hände entgegen, die
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